Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
ablehnendes Verhalten einordnen und eine gesunde Distanz einnehmen, ohne mein Mitgefühl ausschalten zu müssen. In kleinen Schritten werde ich danach mit sorgfältigem Nachfragen versuchen zu verstehen, wie der Anteil denkt, was seine Einstellung, sein verinnerlichtes Wertesystem ist. In einem behutsamen Dialog wird sich zeigen, wie gut die Bindungsfähigkeit aktivierbar ist. Es geht primär darum, ein zartes, zunächst sehr verletzliches Bindungsband entstehen zu lassen.
MH: Können Täterintrojekte überhaupt mit TherapeutInnen in Beziehung treten? Das wird ja auch immer mal bezweifelt?
JS: Selbst in meiner Arbeit mit hoch dissoziativen Menschen erlebe ich meistens, dass die Täterintrojekte, auch wenn sie vorerst noch so rau, aggressiv und starr erscheinen, durchaus fähig sind, mit mir in Beziehung zu treten. Bald spüren sie, dass ich zu verstehen versuche, wie sie in einem unvorstellbaren Ausmaß verletzt, gequält und gedemütigt worden sind. Nicht ihr destruktives Verhalten ist in der therapeutischen Arbeit primär das Thema, sondern der Grund, warum es dazu gekommen ist, sich so wie die Täter verhalten zu müssen. In diesen Gesprächen erahnen die Anteile nach und nach den Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie verharren nicht mehr nur unmittelbar im alten Erleben, sondern erkennen allmählich die gegenwärtige Welt. Allein schon die Tatsache, dass man mit einem Menschen spricht, der einen anständig behandelt, zeigt: Es muss eine andere Welt geben als die alte, einzige, die sie gekannt haben. Sie merken, dass sie in ihrem Erleben in der Vergangenheit stecken geblieben sind. Und Schritt um Schritt gelingt ihnen eine Neuorientierung in der Gegenwart.
MH: Wie versuchst du, diese Anteile für die Therapie zu gewinnen? Kannst du auch dafür ein Beispiel erzählen?
JS: Im Kontakt mit Täterintrojekten wende ich verschiedene Gesprächstechniken an, um mich ihnen in angemessenem Tempo anzunähern. Faszinierend ist zu erleben, wie das ursprüngliche Denkvermögen der gesamten Persönlichkeit den Täterintrojekten bei fortschreitender Festigung der therapeutischen Beziehung wieder zugänglich wird.
Hier als Beispiel ein Ausschnitt aus dem Gespräch mit dem Täterintrojekt M einer multiplen Frau. Sie ist eine Überlebende von organisierter sexueller Ausbeutung. Es handelt sich nicht um den ersten Kontakt mit M. Er ist aber noch sehr misstrauisch, die täterorientierte Prägung definiert sein Denken und Handeln. Das Gespräch beginnt nach einem Wechsel der Anteile.
Th: Hallo, wer ist jetzt da?
M: (schweigt)
Th: Sagst du mir, wer du bist?
M (mit tiefer Stimme): Warum willst du das wissen?
Th: Nun, vielleicht kennen wir uns ja schon? Vielleicht warst du schon mal da?
M: (schweigt)
Th: Weißt du, das hier ist freiwillig, es ist o.k., nur gerade so viel zu sagen, wie man will und kann ... Ich bin mir nicht sicher, bist du vielleicht M?
M: (schweigt)
Th: Ich nehme mal an, es gibt einen Grund, warum du gerade jetzt gekommen bist, gell?
M: (Blickt böse und schweigt.)
Th: Du hast bestimmt gute Gründe, jetzt zu schweigen. Vielleicht ist es für dich auch nicht so klar, ob du mit mir reden sollst oder nicht. Vielleicht möchtest du irgendwie, aber dann ist es auch nicht so ganz einfach, mit mir zu reden.
M: Ich hasse dich.
Th: Hm, wo hast du das gelernt, jemand, die ...
M (fährt heftig dazwischen): Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich (guckt jetzt richtig böse und aggressiv).
Th: Ja o.k., ich höre dich.
M: Ich hasse dich.
Th: Als ob du das so gelernt hast ...
M (etwas leiser): Ich hasse dich, ich hasse dich.
Th: Wo hast du das gelernt?
M (heftig): Ich hasse dich!
Th: M, pass auf, du musst gar nichts sagen, das ist o.k. Kann es sein, dass du denkst, du musst das so sagen, weil es sonst gefährlich ist?
M: Ich darf nicht mit dir sprechen.
Th: ... haben sie gesagt ...
M: Ja, ich muss alle hassen, die helfen wollen.
Th: ... haben sie gesagt, gell, und nicht nur gesagt ...
M: Das war verdammte Scheiße ... Ich hasse dich ...
Th: Ja gell, das war nicht lustig ... Und dir blieb nichts anderes übrig, als das zu tun, was sie verlangten. Du solltest alle hassen, die helfen wollen ...
M: (schweigt mit Tränen in den Augen)
Diese Art von Annäherung ist ein entscheidender Schritt in der Therapie. Der Satz: „Ich hasse dich“ ist bei M tief eingeprägt und erscheint roboterhaft, wenn er mit mir in Kontakt tritt.
MH: Und allein die Tatsache, dass er überhaupt mit dir
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