Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
nah genug, damit man sich ihnen anvertrauen kann. Und dann kommen sie zu uns.
9.2 Wann zeigen sich die Täterintrojekte im Alltag?
Täterintrojekte tauchen in Gedanken, Gefühlen und Verhaltensimpulsen auf, und zwar allgemein in drei Situationen:
wenn sie getriggert werden,
wenn die Persönlichkeit sich von dem entfernt, was die Original-TäterIn noch akzeptabel fände,
wenn sie Teile der Alltagspersönlichkeit geworden sind.
Schauen wir uns alle drei Situationen an, die Täterintrojekte auf den Plan rufen können.
1. Getriggert sein
Täterintrojekte werden getriggert, wenn Situationen auftauchen, die der Traumasituation ähneln. Wer z. B. immer nachts gequält wurde, hat nachts besonders viel Not. Einerseits ist da die Angst der früheren Opferanteile: „Es könnte schon wieder passieren.“ Und andererseits gibt es Druck durch die Täterintrojekte: „Schweig, sei still, sonst ...!“ Denn die Täterintrojekte werden schon allein dadurch getriggert, dass die Opferanteile im Innern in Not sind. Sie wollen diese zum Schweigen bringen, wie sie es bei den Original-Tätern gesehen haben: Nur nicht schwach sein, nur nicht weinen, nur nicht laut sein, sich nicht wehren – sonst wird alles nur schlimmer.
Außerdem werden Täterintrojekte durch die (z. B. nächtliche) Situation und ihre Elemente als solches getriggert. Nachts, zwischen Tag und Traum, ist das Alltagsbewusstsein herabgesetzt. Das kann auch für intoxizierte Zustände gelten. Bekannt sind zum Beispiel die Ausraster, wenn jemand wieder Alkohol getrunken oder Drogen genommen hat.
Ein weiteres Beispiel für Getriggert-Sein: Jemand ruft ausdrücklich diesen Anteil hervor. Bei Menschen, die in der Zwangsprostitution leben müssen, werden von Täterseite oft täterloyale bzw. täteridentifizierte Anteile „herausgerufen“: „Komm, du weißt doch, es ist besser, jetzt die Sache ganz cool anzugehen, also bringst du den Körper jetzt mal hierher ...“ Oder: „Ich will meine Süße sprechen!“ Getriggert werden kann man durch alle möglichen Symbole, durch einen Besuch im Heimatort, durch Anrufe von Verwandten, durch SMS, E-Mails oder Filme mit triggernden (an Trauma erinnernden) Inhalten, bestimmte Signale, die Stimme eines vertrauten und sehnsuchtsvoll erwarteten Menschen.
2. Man entfernt sich von dem, was die Original-TäterIn noch gut finden würde
Das ist eine sehr interessante Variante und bei näherem Hinsehen erklärt sie so manche abgebrochene Therapie (s. auch Interview 1, das Gespräch mit Jacqueline Schmid). Denn Täterintrojekte werden nicht nur durch Situationen auf den Plan gerufen, die dem ursprünglichen Trauma ähneln; und nicht nur, indem die Original-TäterInnen sie „rufen“. Sondern Täterintrojekte melden sich sehr nachdrücklich auch dann, wenn die Persönlichkeit Fort-Schritte macht. Nämlich Schritte fort von dem, was die Original-TäterIn akzeptabel fände. Nehmen wir als Beispiel eine KlientIn, deren Täter ihr nie erlaubt hätten, eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto oder andere Formen von Unabhängigkeit zu haben. Dann sind im Inneren prompt die Täterintrojekte zur Stelle, sobald die Persönlichkeit ernsthafte Anstrengungen unternimmt, eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto ... zu bekommen. In Psychotherapien kann man das sehr gut sehen: Eine Klientin macht wunderbare Fortschritte – für eine Weile. Und plötzlich stockt die Therapie nicht nur, sondern vieles scheint sich geradezu rückwärts zu entwickeln. Plötzlich gibt es Rückfälle in altes, abhängiges Verhalten. Symptomverhalten, das schon gebessert war, verschlimmert sich wieder. Die Alltagspersönlichkeit ist verzweifelt und verzagt. In solchen Fällen lohnt es sich, genau hinzuschauen und zu fragen: „Na, kann es sein, dass nicht alles (bei den „Vielen“: nicht alle) mitgenommen wurde auf den letzten Metern? Kann es sein, dass es Selbst-Anteile (oder innere „Leute“) gibt, die ganz anderer Meinung sind, die zunehmend beunruhigt sind und denken, dass wir den falschen Weg eingeschlagen haben?“
Denn es ist ja so: Täterimitierende Anteile sind entstanden im Moment der höchsten Not. Im Augenblick der traumatischen Dissoziation hat ein Anteil der Persönlichkeit es übernommen, sich ganz abzulösen vom Opfer-Ich und ganz zu verschmelzen mit dem Täter da außen. Bei hoch dissoziativen Menschen kann man das sehr gut sehen, in der Psychotherapie ist das regelmäßig beeindruckend: Die prägnantesten Täterintrojekte – die wortwörtlich so sprechen,
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