Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
offenbar absolut so denken, fühlen und auch so handeln wie ein bestimmter Täter oder Täterin – können bei der Bearbeitung traumatischer Szenen sich schlagartig verwandeln in das kleine Kind, das sie waren, als sie das Täterintrojekt in einer bestimmten Situation aufgenommen haben. Andere, die über lange Zeit insofern ein Eigenleben entwickelt haben, als sie auch Alltagsfunktionen übernommen haben, werden sich eher allmählich verändern. Dennoch gilt ganz allgemein, nicht nur für täterimitierende und täterloyale Anteile: Läuft die Therapie oder insgesamt die Persönlichkeitsentwicklung immer in einer Richtung – meldet sich die jeweils „andere Seite“ im Innern vehement.
3. Wenn Täterintrojekte Teil der Alltagspersönlichkeit geworden sind
Je mehr ein Täterintrojekt mit der Alltagspersönlichkeit verschmilzt, desto täterorientierter wird die Persönlichkeit auch in ihrem Alltagshandeln. Hoch dissoziative Menschen führen dann intensive Parallelleben: ein Alltagsleben und ein heimliches täterloyales oder eigenes Täterleben. Und noch etwas: Je mehr (Macht-)Lust täteridentifizierte Persönlichkeitszustände bzw. -anteile verspüren bei ihrem Tun, desto schwieriger wird es, sie zu verändern. Und wenn Lust und Alltags-Ich-Nähe zusammenkommen, kann daraus eine Täterkarriere werden, weil das Alltags-Ich oder die anderen Anteile der Persönlichkeit keine Kontrolle mehr über das täterorientierte Verhalten bekommen, weil intensive Bindungen an die alten oder an neue Täter gehalten und stets wieder aufgenommen werden etc. Oder weil die Parallelleben immer weiter auseinanderdriften: Tag-Ich und Nacht-Ich zum Beispiel, wie wir es von vielen Tätern kennen. Hierfür gibt es nicht zuletzt in der jüngeren deutschen Geschichte Beispiele: Der Alltagsmensch mochte den „Schrank-Juden“ (den Juden, den man selbst im Schrank versteckte, weil er so nett war), hatte aber nichts dagegen, wenn Juden auf der Straße gedemütigt und geschlagen wurden; oder er wurde sogar selbst aktiv gegen sie.
Je mehr das Bösesein Spaß macht, desto schwerer ist es zu verändern. Und: Je mehr das Bösesein positiv sanktioniert wird („Das machen ja alle“ oder Lustgewinn oder die Freude an der absoluten Beherrschung des anderen – bis hin zu materiellen Vorteilen durch Erpressung etc.), desto mehr wird es Teil der Alltagspersönlichkeit. Ist das noch verbunden mit äußerer Bedrohung durch (andere) Täter oder mit dem Verlust von Arbeit und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, wird es noch schwerer, das Täterintrojekt in eine menschenfreundlichere Form zu verwandeln.
Fazit
Wer Gewalt erlebt hat, hat Täterintrojekte. Diese werden aktiv, wenn sie durch äußere Situationen „erinnert und herausgerufen“ werden; wenn man sich sehr schnell sehr weit von ihrem inneren So-Sein entfernt und wenn man im Alltag tätermäßig gehandelt und es genossen hat. Psychotherapeuten, die mit Straftätern arbeiten, ziehen daraus den Schluss, gar nicht mehr nach der Herkunft der Täterintrojekte zu fragen, sondern nur und ausschließlich daran zu arbeiten, dass keine neuen Straftaten mehr begangen werden – dass die Täterintrojekte – viele nennen das den „Deliktteil“ – also „in Schach gehalten“ werden. In diesem Buch werden sie viele Plädoyers dafür finden, dass man auch noch mehr tun kann. Nämlich Täterintrojekte verstehen zu lernen und der Persönlichkeit nahezubringen, sie als Teil von sich zu akzeptieren – und die Täter(introjekt-)Anteile selbst zur Mitarbeit und Veränderung zu motivieren.
Interview 1: „Täterintrojekte befinden sich noch im ‚alten Film‘“
Ein Gespräch mit der Schweizer Traumatherapeutin Jacqueline Schmid
Michaela Huber: Jacqueline, du arbeitest seit Jahrzehnten in Zürich mit traumatisierten Menschen aller Altersgruppen. Dieses Buch beschäftigt sich mit Entstehung und Auswirkung sowie mit der Therapie von Täterintrojekten, also mit täterimitierenden und täterloyalen Persönlichkeitsanteilen. Kannst du einen Unterschied entdecken zwischen den Täterintrojekten von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen?
Jacqueline Schmid: Bei Kindern erscheinen die Täterintrojekte meistens nicht als ausgebildete Persönlichkeiten mit einem eigenen Denk-, Handlungs- und Wertesystem, sondern als fragmentierte Handlungsmuster oder als Affektzustände. Kleine Kinder sind aufgrund ihres Entwicklungsstandes noch nicht in der Lage, ganze Überzeugungssysteme der Täter zu verinnerlichen. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher