Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
abgespalteneres Eigenleben führen als bei Menschen, die „nur“ Zeuge oder Opfer unangenehmer, aber nicht traumatisierender Situationen waren.
Täterimitierende und täterloyale Introjekte
Mit anderen Worten: Man dissoziiert auch die Täterintrojekte. Und dabei gibt es zwei Arten: die täterimitierenden und die täterloyalen. Die täterimitierenden oft als gewalttätige männliche Introjekte (80–90 % der körperlichen und sexualisierten Gewalt wird durch Männer ausgeübt); die täterloyalen oft als weibliches Introjekt (hilflos, verbal wütend, resignativ). So gibt es also einerseits täterimitierende Anteile, die man im Augenblick der Attacke von dem Attackierenden innerlich aufgenommen und gespeichert hat: die hasserfüllten Augen, die würgenden, eindringenden oder prügelnden Hände, den angespannten Körper; aber auch die Gefühlswelt des anderen: der Machtrausch, das Sich-gehen-Lassen, das Hineinsteigern, die Hemmungslosigkeit, die Lust am Quälen. Und die täterloyalen Anteile: das Erschlaffen, Aufgeben, reglose Zuschauen, die Gleichgültigkeit und die einen überkommende Kälte. Oder auch: das Anfeuern des Täters, die gefühllose Entwertung des Opfers (selbst schuld!), den Verrat, das Im-Stich-Lassen, das zusätzliche Beschimpfen etc.
Passiv-aggressive Täterintrojekte
Ein wirklich scheußliches Täterintrojekt ist auch das passiv-aggressive, angeblich „masochistische“ mancher Mütter, die ihre Töchter (in selteneren Fällen auch ihre Söhne) „fressen“. Das geht so: Verantwortungsabwehr („Ich kann nicht!“), Schuldgefühle machen („Geh nur und amüsier dich und lass deine arme kranke alte Mutter allein!“), Abhängigkeit („Ich kann nicht leben ohne dich!“). Ganz schön perfide, so etwas dann in sich zu haben – denn es kann eine Endlosspirale von „gefressenen“ Töchtern und passiv-aggressiven Müttern, die wieder ihre Töchter „fressen“, auslösen. Eine Mutter kann ihre Tochter im Extremfall so eisern dominieren, bis diese vor ihren Augen verlöscht: in Magersucht, in Krankheit, in einem Suizidversuch nach dem anderen. Manche Töchter verlöschen auch in explodierender Dissozialität. Und die Mutter besucht ihre „arme Tochter“ jammernd und wenn es sein muss, pflegt sie sie hingebungsvoll bis zum Tode.
Solche Mütter kratzen und beißen jeden weg, der ihnen die Tochter „wegnehmen“ will: FreundInnen, PartnerInnen, HelferInnen. Das Phänomen dieser passiv-aggressiven Opfer-Mütter gibt es überall auf der Welt. Sie jammern und klagen und unterwerfen sich und bekommen Kinder. Ein Sohn wird zum „kleinen Prinzen“ verwöhnt, aus dem später ein größerer Tyrann wird. Die Tochter muss so ab neun, zehn Jahren ertragen, dass die Mutter „krank“ ist und „nicht kann“, und muss alles übernehmen: die Versorgung der Mutter, einen Großteil des Haushalts, die Versorgung der jüngeren Geschwister. Ein solches „gefressenes“ Mädchen wartet auf den Prinzen, der es erlöst, geht, schon schwach und angeschlagen, so früh wie möglich fort, hofft auf Besseres und bekommt Kinder. Der Junge wird zum „kleinen Prinzen“ verwöhnt und das Mädchen ...
Und was wird dann daraus später im Leben, nachdem man so als Kind behandelt wurde und ungewollt so viel an Negativem mit aufnehmen musste, Negatives, das im Innern weiterwirkt und weiterwütet? Nun, meist ein äußerst zerrissener Mensch. Mit freundlichen Strebungen, Talenten und Kenntnissen der Alltagsperson. Mit verzweifelten und hilflosen Opferanteilen, inklusive Schmerzzuständen, innerem „Wegdriften“ und anderem dissoziativem Entfremdungserleben sowie mit kindlicher Bedürftigkeit nach Nähe und Schutz. Und auf der anderen Seite mit dunklen, grausamen, gleichgültigen, schimpfenden, wütenden, gern machtvoll agierenden Anteilen, die sich nach innen und / oder nach außen richten.
So, wie man sich nicht entscheiden konnte, das Grausame zu erleben, so kann man sich nicht entscheiden, das Grausame im Innern „nicht zu haben“. Es ist da. Punkt. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als Menschen zu suchen, mit deren Hilfe man es anschauen und möglichst verändern kann. BeziehungspartnerInnen sind dabei schwierig, denn die Wiederholungsgefahr ist hier besonders groß. Da muss der Beziehungspartner schon sehr großzügig, unabhängig, selbstsicher sein, um alle Reinszenierungen zu ertragen und mit verändern zu helfen. Meist suchen die Betroffenen nach einer Weile nach Profis, die nicht zu nah sind und doch
Weitere Kostenlose Bücher