Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
werden von schlimmen Impulsen und hämmernden gemeinen Sätzen im Kopf. Und andere Zustände, in denen sie davon überhaupt nichts wissen oder diese anderen Impulse nur ganz schwach im Hintergrund spüren. Sehr viele fühlen sich dann falsch: verlogen, verdreht, als Mogelpackung, irre. Fähigkeiten, Talente und Erfolge, die sie hatten, werden bedeutungslos. „In Wirklichkeit bin ich nichts und werde nie etwas sein.“
Die meisten, die sich so fühlen, kommen niemals in Psychotherapie. Sie finden nicht, dass sie es wert sind. Manche werden – etwa im Zuge von Strafverfahren – gezwungen, eine Psychotherapie zu beginnen. Längst nicht alle sind auch fähig dazu, aber manche können noch motiviert werden, wenn die TherapeutIn ihnen respektvoll und wertschätzend entgegenkommt.
Wer freiwillig in Psychotherapie kommt, leidet in der Regel massiv und seit vielen Jahren unter dem, was andere ihm oder ihr angetan haben, aber auch unter den inneren quälenden Gefühlen, Vorstellungen und Gedanken; möglicherweise auch unter realer Schuld, weil sie anderen Gewalt angetan haben.
Mit anderen Worten: Jede/r Gewaltüberlebende ist ein Mix aus vielen Zuständen. Aus Alltags-Ich-Zuständen, in denen man zu Hause, im Supermarkt, bei der Arbeit funktioniert. Aus Erinnerungs-Zuständen als Erfahrungen, gedemütigt, verlassen und gequält worden zu sein. Und aus aufgenommenen bösartigen und zynischen Zuständen, übernommenen Sprüchen, Gedanken, Impulsen, die von der „Gegenseite“ kamen und längst verinnerlicht sind. Bei hoch dissoziativen Menschen sind das sogar innere abgespaltene Selbst-Anteile, die von den Betroffenen als ich-fremde innere „Leute“ wahrgenommen werden. Und die wollen auch gesehen, für sich selbst genommen werden, sie haben ihren eigenen Stolz, ihre eigenen Wertvorstellungen, ihren eigenen Verstand. Sie „ticken“ einfach anders.
10.2 Wie wird in der Therapie mit Täterintrojekten umgegangen?
Seit vielen Jahren amüsieren, manchmal erschrecken mich auch die diversen Vorstellungen, was alles mit den verinnerlichten täterloyalen und täteridentifizierten Persönlichkeitsanteilen in früh traumatisierten Menschen zu tun wäre. Das Motto scheint häufig zu sein: Weg mit ihnen! Sie austreiben, sie konfrontieren, sie selbst genauso gewalttätig behandeln, sie zerbrizzeln, sie als Drachen töten, nachdem man ihnen die Schatzkiste (ihr Bestes) „geraubt“ hat etc. Offenbar folgen viele PsychotherapeutInnen hier den Wünschen der Alltagspersönlichkeit der KlientIn, die sich der lästigen, quälenden, hämischen inneren Kommentare und Aufforderungen entledigen möchte, sowie den oft sehr entsetzten und erschreckten inneren (Opfer-)Anteilen, die eindeutig vermitteln: „Mach das weg!“ Aber ist das wirklich empfehlenswert?
Nicht wenige TherapeutInnen brechen sogar die Therapie ab, wenn sie z. B. dem zynischen oder gar hasserfüllten Täterintrojekt in einer KlientIn begegnet sind. Wenn sie harte hingeworfene Sätze hören wie: „Hören Sie auf mit dem Scheiß!“ Oder: „Ich glaube eben an andere Dinge als Sie und meine Welt ist nicht Ihre!“ Oder: „Das gab es nicht für mich und das wird es nie geben, basta!“ Oder wenn sie gar nur Schweigen und finstere Blicke ernten, egal wie sehr sie versuchen, mit diesen Anteilen bzw. Selbst-Zuständen ein Gespräch zu beginnen, dann zucken KollegInnen förmlich zusammen: „Wie benimmt sich mein nettes, liebes, freundliches Gewaltopfer denn plötzlich? Wie guckt die / der mich in den letzten Stunden so feindselig an!“ Wenn eine KlientIn hoch dissoziativ ist, begegnen TherapeutInnen möglicherweise sogar dem einen oder anderen Anteil oder der „Person“ oder Teilpersönlichkeiten, die glauben, sie wären tatsächlich (so wie) ein bestimmter Täter oder eine Täterin – manche sind ihrerseits TäterInnen gegenüber anderen Lebewesen außen, viele aber vielleicht nur in ihrem Innern. Sie sprechen von den anderen Persönlichkeitsbereichen dann vielleicht sogar in der dritten Person: „Die tut, was ich sage!“ Oder: „Sie können sich hier einen abzappeln, die wird das Maul nicht aufmachen – wehe!“
In solchen Fällen müssen PsychotherapeutInnen oder BeraterInnen sich schon gut auskennen. Denn sonst denken sie automatisch: „Diese Person spricht ja jetzt genau wie der Täter – die ist ja eigentlich so! Und mit Tätern wollte ich nie arbeiten. Also, das geht aber nicht. Die ist nicht therapiefähig!“ Als Supervisorin sind mir unendlich oft
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