Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Wesen entsprechenden Sinn zu suchen.
Jacqueline Schmid ist eine der renommiertesten Traumatherapeutinnen der Schweiz. Sie arbeitet als psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Zürich und hat das Schweizer Institut für Traumatherapie SITT ( http://www.sitt.ch ) begründet.
10. Kann man mit Täter(introjekte)n arbeiten?
Wer selbst Gewalt erlebt hat und gegen andere gewalttätig wird, hat im Innern täteridentifizierte Anteile. Häufig auch noch täterloyale dazu, also solche Gedanken, Gefühle und Impulse, die Menschen zu bestätigen und zu verteidigen, die an einem selbst zum Täter geworden sind. In familiären Situationen gibt es meist beides: täteridentifzierte Persönlichkeitsanteile beim gequälten Kind, die so reden, sich fühlen und handeln wie die äußeren (erwachsenen) Täter, z. B. die Eltern. Und täterloyale Persönlichkeitsanteile, die den Quälern recht geben: „Ich tauge ja auch nichts“, „Man kann gegen die sowieso nichts machen, die sind viel zu stark“, „Ich liebe meinen Papa eben“.
Ein Grund für dieses Phänomen, dass man im Innern Selbst-Zustände von Täterloyalität und Täteridentifikation hat, ist das Bindungssystem: Ein Kind muss sich binden an die erwachsenen Personen in seiner Umgebung, es ist abhängig von ihnen. Also muss es den Anteil von sich unterdrücken, der das Böse im Elternteil entdecken könnte, wie Jennifer Freyd es in ihrem Buch „Betrayal Trauma“ (1996) so gut beschrieben und inzwischen mit ihrem KollegInnenstab in zahlreichen Studien belegt hat (s. Kaehler & Freyd 2009 und 2011). Daher wird ein Kind lernen zu dissoziieren: Es wird still werden, eigene Gefühle unterdrücken, sich anpassen und in Teilen seines Wesens übernehmen, was von außen kommt.
Ja, ein Kind schnappt auf, was es von seinen Bindungspersonen eben so hört. Und wenn der Vater / Großvater / Onkel / ältere Bruder etc. zu ihm sagte: „Halt’s Maul!“, dann gibt es etwas im Innern, das immer dann, wenn man sich anvertrauen will, sagt: „Halt’s Maul!“ Wenn die Mutter sagte: „Ach Kind, es hat ja alles keinen Zweck“, dann gibt es etwas im Innern, das immer dann, wenn man sich aufrichten will und Hoffnung schöpft, sagt: „Ach, hat doch alles keinen Zweck.“ Ein Kind, das gedemütigt, für jedes Sich-Wehren misshandelt, zum Aufgeben gezwungen wurde, wieder und wieder, hat Gedanken und Stimmen im Kopf, die von Demütigendem, Gemeinem, von Versagen und Hoffnungslosigkeit sprechen. Es ist dann, als wolle man sich aufschwingen – und erlebt, dass etwas im eigenen Inneren einen niederdrückt. Je öfter ein Kind im Laufe des Lebens vergeblich versucht hat sich anzuvertrauen, je öfter es wieder zurückgestoßen wurde ins Elend, verlassen, im Stich gelassen wurde – desto mehr neigt es dazu, eigene Vorwärtsbewegungen aus dem eigenen Inneren heraus abzubrechen oder ganz zu unterdrücken. Je mehr ein Kind entwertet und zu für sein eigenes Empfinden zutiefst beschämenden Handlungen gezwungen wurde, desto mehr wird es sich selbst hassen und sich schuldig fühlen.
10.1 Wie zeigen sich Täterintrojekte?
Später wird daraus vielleicht eine Niedertracht, eine Gemeinheit, eine Schändlichkeit im eigenen Innern. Viele Gewaltüberlebende richten das nur nach innen. Sie hassen sich, ihren Körper, ihre Lebendigkeit. Dann werden sie vielleicht – ohne es bewusst zu wollen – viel dafür tun, sich zugrunde zu richten: sich in Gefahren begeben; mit dem Feuer spielen; süchtig werden nach Betäubung. Sie werden vielleicht ihren inneren Schmerz in körperlichen Schmerz verwandeln, indem sie sich verletzen, freundliche Beziehungen abbrechen, zynisch oder hoffnungslos werden. Sie werden unter Zwangsvorstellungen leiden, sich oder ihren Schutzbefohlenen oder anderen schwächeren Lebewesen etwas antun zu müssen. Manche tun das dann auch. Wenn sie keine gewissenlosen Psychopathen sind (siehe Kapitel 16 „Gewissenlos“ ), werden sie sich auch dafür hassen, dass sie ihren Zorn, ihre Verzweiflung, ihren Hass an anderen abreagiert haben. Manche wurden auch gezwungen, anderen etwas anzutun, oder ihnen wurde von den Erwachsenen in ihrer Umgebung ein Kind genommen, das in ihrem Bauch begonnen hatte zu wachsen. Dann werden sie sich so fühlen, als hätten sie ihr Lebensrecht für immer verwirkt. Und da das nicht auszuhalten ist, müssen sie wieder dissoziieren. Dann gibt es Selbst-Zustände – PsychotherapeutInnen nennen das „States“ –, in denen sie überschwemmt
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