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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zu machen.
    Man kann diese Typen nicht dazu bewegen, sich wie Gentlemen zu benehmen.«
    Ich hatte keine Zeit, ihr darauf eine Antwort zu geben. Naomi schob den Kopf zwischen den Vorhängen durch und begrüßte uns mit einem fröhlichen »Hallo!«. Holly murmelte etwas und schloss die Augen.
    »Ich glaube, sie ist ein bisschen müde«, erklärte ich.
    »Ich wollte ihr die hier bringen.« Naomi legte eine braune Papiertüte auf Hollys Brust. Der Geruch von Hefegebäck erfüllte die Luft. »Safranbrötchen«, sagte sie. »Frisch aus dem Ofen. Sie sind noch ganz warm. Ihr müsst sie gleich probieren.«
    Holly schüttelte den Kopf.
    Ich mag Safran eigentlich nicht besonders, aber Naomi war so voller Eifer, dass ich ihre Gefühle nicht verletzen wollte. Ich nahm ein Brötchen und biss ein kleines Stück davon ab. »Köstlich.«
    »Ich hab mir gedacht, Blumen und Obst hat sie schon genug.«
    »Du bist Charlie und Holly eine große Hilfe«, sagte ich.
    »Hauptsächlich Charlie«, murmelte Holly so leise, dass man es kaum verstehen konnte.
    »Das mach ich doch gern«, antwortete Naomi. »Sie sind schließlich meine Freunde. Außerdem bin ich Krankenschwester. Ich weiß, was Holly durchgemacht hat. Immer noch durchmacht«, fügte sie hinzu. »Die anderen glauben ja alle, dass es ihr schon viel besser geht, aber man darf nicht vergessen, dass es sich bei dem, was sie hat, nicht um ein Virus handelt, und dass sie noch ganz schön tief drinsteckt. Stimmt’s, Holly?«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Sie wird noch eine ganze Weile auf die Hilfe von uns allen angewiesen sein, nicht?«
    Holly wandte sich ab und vergrub ihr Gesicht im Kissen. Ich beugte mich über sie und küsste ihre eingefallene Wange.
    »Mach dir keine Sorgen mehr«, sagte ich leise. »Es wird alles gut.«

    30
    Bevor ich die Zeit fand, Vic Norris aufzuspüren, fand Rees den Weg zu mir. Am nächsten Tag, als ich gerade eine E-Mail schrieb, in der ich alle im Büro aufforderte, ihre Spesenrechnun-gen in angemessener Form einzureichen und nicht einfach nur mit Lippenstift auf ein Papiertuch zu schmieren, kam er durch unsere offene Bürotür herein, schlenderte auf mich zu und ließ einen dicken braunen Umschlag vor mir auf den Schreibtisch fallen. »Ich hab mir gedacht, Sie möchten sich vielleicht ein paar Schnappschüsse von Ihrer kleinen Freundin ansehen, bevor Sie sie das nächste Mal auf ein Polizeirevier schleppen«, erklärte er.
    »Woher wissen Sie das?«
    Er lächelte.
    »Ich habe euch hineingehen und dann wieder herauskommen sehen. Ich bin aber nicht zum Verhör gebeten worden. Die Polizei wollte nichts davon wissen, hab ich Recht? Wer würde ihr auch nur ein Wort glauben, wenn das Ganze vor Gericht käme? Eine kleine Phantastin, unsere Holly. Schauen Sie sich auf jeden Fall diese Schnappschüsse an – es sind übrigens nur Abzüge.«
    Er drehte sich um und verschwand. Ich starrte ihm benommen nach. Es dauerte eine Weile, bis mein Zorn richtig hochzuko-chen begann.
    »Das war dieser Typ, oder?«, fragte Lola hinter mir. »Der Mistkerl, der Holly verfolgt hat.«
    »Ja. Halt mal kurz die Stellung. Ich bin gleich wieder da.«
    Ich musste fast lachen, weil sie vor Verblüffung wie eine Zeichentrickfigur den Mund aufriss, als ich an ihr vorbei zur Treppe stürmte. Er hatte gerade das Gebäude verlassen, als ich ihn einholte und am Ärmel packte.
    »Hören Sie«, sagte ich.
    »Was?«
    »Ich weiß, was Sie getan haben.«
    »Sie wissen nur, was Holly behauptet hat.«
    »Ich weiß, was Sie getan haben«, wiederholte ich. »Und ich warne Sie: Wenn Sie sich je wieder in ihre Nähe wagen, werden Sie kein zweites Mal ungestraft davonkommen.«
    »Warum sollte ich in ihre Nähe wollen? Sie ist doch bloß …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »… Abschaum.« Sein Atem roch nach Bier.
    »Halten Sie sich einfach von ihr fern. Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr sie auf Messers Schneide …« Ich verkniff mir den Rest.
    »Doch, ich glaube schon. Sie hat versucht, sich umzubringen, stimmt’s? Schade.«
    »Schade?«
    »Dass sie es nicht geschafft hat.«
    Wenn ich in dem Moment ein Messer gehabt hätte, dann hätte ich es Rees in die Brust gerammt, und sei es nur, um ihm dieses höhnische Grinsen auszutreiben.
    »Und hören Sie auf, ihre Freunde zu belästigen.«
    »Sie ist krank, nicht wahr? Krank im Kopf. Der arme alte Charlie. Na ja, meinetwegen kann er sie haben. Ich hätte sowieso keine Lust, eine Irre zu vögeln.«
    Ich holte tief Luft und ballte die Fäuste, um nicht

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