Der Feind in deiner Nähe
hat Charlie es so ausgedrückt.«
Ich legte ihr die Hände auf die Schultern. »Es wird schon alles gut werden«, sagte ich eine Spur zu fröhlich.
Eigentlich hatten wir vorgehabt, Rechnungen und Belege für ihre Steuererklärung zu sortieren, aber am Ende landeten wir vor Hollys Kleiderschrank. Sie erklärte, sie wolle alles hinauswer-fen, was sie nicht mehr tragen werde.
»Wie das hier«, sagte sie in bedauerndem Ton und hob ein kleines Schwarzes hoch, wobei die Betonung in diesem Fall auf
»klein« zu legen war.
»Das hast du auf der Party in der Royal Festival Hall getragen und damit alle Blicke auf dich gezogen. Irgendwie sah es ganz
…«, ich zögerte, »… es sah ganz besonders aus.«
»Besonders unmöglich, meinst du wohl. Ich weiß, dass ich mich oft danebenbenommen habe. Ich mag gar nicht mehr daran denken. Die Zeiten sind vorbei. Obwohl es auch Spaß gemacht hat, oder? Vielleicht behalte ich es zur Erinnerung. Was hältst du von diesem Shirt hier?«
»Sehr dramatisch.«
»Mülltonne oder behalten?«
»Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Nachdem ich mir nicht sicher bin, behalte ich es lieber. Nur für den Fall, dass ich es doch mal wieder anziehen möchte.«
Am Ende warf sie nur einen Rock weg, bei dem der Reißverschluss kaputt war, und ein paar Strümpfe mit Laufmaschen.
Alles andere – all die bunten, schrillen Sachen, von denen sie sich als Zeichen ihrer neuen Mäßigung hatte trennen wollen –
wanderten zurück in ihre Schränke. Ich fühlte mich seltsam erleichtert.
Sie wollte, dass ich noch blieb, aber ich erklärte ihr, dass ich noch einiges zu erledigen hätte.
Holly begleitete mich hinaus. Nachdem wir uns zum Abschied umarmt hatten, schloss sie die Tür. Ich wartete noch ein paar Augenblicke und ging dann die wenigen Meter zum Nachbar-haus, in dem Naomi im obersten Stock wohnte. Sie hatte mir von ihrer Wohnung erzählt: ein kleines Schlafzimmer, eine Toilette und eine leckende Dusche, eine winzige Küche, ein Wohnzimmer, das ihr zugleich als Arbeitszimmer diente, eine eigene Telefonleitung.
Ich klingelte, wartete einen Moment und klingelte dann noch einmal. Schließlich hörte ich Schritte. Ein älterer Mann in einer weiten Jacke und Hausschuhen öffnete mir die Tür.
»Ist Naomi nicht da?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete er. »Sie sind weggefahren.«
»Oh«, sagte ich. Mir kam ein Gedanke. »Hat ihr Freund sie abgeholt?«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Sie hat keinen Freund.«
Ich zwang mich zu einem unbefangenen Lachen. »Sie passen gut auf sie auf, oder?«
»Sie bäckt oft Kekse für mich«, antwortete er. »Manchmal sehen wir abends zusammen fern. Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben, müssen Sie wissen. Soll ich ihr etwas ausrich-ten?«
»Mit wem ist sie denn weggefahren?«
»Sie sind ganz schön neugierig, junge Dame.« Er lachte.
»Ich wollte bloß –«
»Es war nur ein Nachbar.«
»Charlie?«
»Richtig. Es hat also alles seine Ordnung.«
Er lud mich ein, eine Tasse mit ihm zu trinken. Ich glaube, er war ein einsamer Mann, aber mir schwirrte derart der Kopf, dass ich gar keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ich verabschiedete mich, sobald es der Anstand erlaubte.
»Es ist nicht schön, Meg, aber so etwas passiert nun mal«, meinte Todd. »Das Wichtigste ist natürlich, dass Hollys Genesung nicht darunter leidet.«
Ich runzelte die Stirn. »Du hast mich nicht richtig verstanden«, erklärte ich. »Es geht mir nicht um die Affäre, obwohl ich natürlich wünschte, es gäbe sie nicht. Holly hat an dem Tag versucht, mich anzurufen, und kam nicht durch. Laut ihrer Telefonrechnung ist an dem Tag tatsächlich von dem Apparat aus gesprochen worden, wobei sie sich allerdings nicht erinnern kann, die betreffende Nummer gewählt zu haben. Trotzdem muss das Telefon zu dem Zeitpunkt noch funktioniert haben.
Und als sie dann irgendwann versuchte, meine Nummer zu wählen, funktionierte das Telefon mit einem Mal nicht mehr.«
»Warum um alles in der Welt zerbrichst du dir über etwas so Unwichtiges den Kopf, wenn –«
»Mir ist da ein schrecklicher Gedanke gekommen, Todd. Ein ganz, ganz schrecklicher Gedanke.«
»Schieß los.«
Ich öffnete den Mund, brachte es aber nicht fertig, die Worte auszusprechen. Es war eine haarsträubende Idee, wie sie Holly in einem ihrer manischen Zustände hätte einfallen können.
»Vergiss es. Ich bin wahrscheinlich bloß paranoid.«
Wie sehr er auch versuchte, es mir zu entlocken, ich konnte nicht darüber
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