Der Feind in deiner Nähe
glückliches Leben führen würde. Nun begriff ich, dass das nur möglich war, wenn sie ein pflichtbewusstes Leben führte. Die Zeit der Spiele, der wilden Abenteuer und Romanzen, der Träume und Phantasien war vorbei. Nun würde Holly erfahren, wie sich das Leben anfühlte, wenn man nüchtern war. Sie musste sich um ihre Karriere kümmern und ihre Ehe kitten. Es ging darum, Dinge zu organisieren, Termine einzuhalten, im Zeitplan zu bleiben.
Holly schien keine große Lust zu haben, sich zu diesen Themen schon konkret zu äußern. Sie wirkte fast ein wenig trotzig, als wäre ich eine nervende Mutter, die sie dazu anhielt, ihre Hausaufgaben zu machen und auf ihrem Musikinstrument zu üben. Sie erklärte, Dr. Thorne zufolge dürfe sie frühestens in ein paar Monaten wieder zu arbeiten beginnen. Er habe ihr eingeschärft, dass ihre Arbeit nun erst einmal darin bestehe, sich zu erholen. Ihre nächsten Ziele seien, gesund zu werden, ihre privaten Probleme zu regeln, ihr Haus in Ordnung zu bringen.
Vor allem aber habe sie bei Charlie einiges gutzumachen. »Und bei dir natürlich auch«, fügte sie hinzu.
Ich musste lachen. »Du hast bei mir doch nichts gutzumachen«, widersprach ich.
»O doch. Ich habe dir von dem Abschiedsbrief erzählt, den ich dir geschrieben habe, oder? Soweit ich mich in meinem Deliri-um und mit meinem Elektroschock-verkokelten Gehirn erinnern kann, hatte ich irgendwie das Gefühl, dir alles erklären zu müssen. Vielleicht muss ich das noch immer. Ich fürchte fast, ich werde niemals ganz normal sein.«
»Aber so, wie es war, darf es nicht mehr werden«, erwiderte ich. »So wie in den letzten Monaten kannst du nicht mehr weitermachen. Das würdest du nicht überleben, und wir anderen auch nicht. Ich jedenfalls nicht.«
»Wir werden sehen«, antwortete sie. »Meine wichtigste Aufgabe ist jetzt erst mal, gesund zu werden. Nein, das stimmt nicht. Meine wichtigste Aufgabe ist, Charlies Mutter aus dem Haus zu bekommen. Das mit dem Gesundwerden kann warten.«
Ich lachte.
»Ist sie wirklich so schlimm?«
»Findest du den Geruch von Mentholzigaretten nicht auch schrecklich?«, fragte sie. »Man sollte diese zwei Dinge nicht miteinander kombinieren. Das ist, als würde man ein Freudenfeuer mit Pfefferminztee löschen.«
»Aber jetzt mal im Ernst«, sagte ich. »Ich finde, du darfst erst wieder zu arbeiten anfangen, wenn …«
»Komm, wir teilen uns einen Obstkuchen.«
»Sie war ganz anders, als ich erwartet hatte. Jetzt verstehe ich, warum du sie liebst«, sagte Todd.
»Ich hab dir ja gesagt, dass du sie erst richtig kennen lernen musst. Mir war klar, dass du sie dann mögen würdest.«
»Irgendwie hat sie wirklich eine sehr starke Ausstrahlung.«
»Ja, ich weiß. Das finden alle. Sie gibt jedem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.«
Einen Moment lang schwiegen wir. Dann kam Todd zu mir und nahm mich in den Arm. »Was hast du?«
»Nichts.«
»Doch, ich merke es genau.«
»Ich habe wirklich nichts.« Aber dann musste ich es doch sagen: »Findest du sie sehr schön?«
»Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Hübsch, das auf jeden Fall.«
»Die meisten Leute finden sie schön.«
»Meg.«
»Was?«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen. Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst.«
»Du bist die Frau, in die ich verliebt bin. Du bist diejenige, die ich schön finde.«
»Ich bin nicht schön.«
»Für mich schon.«
»›Für mich‹ klingt nach Mitleid.«
»Nein, eher nach Lust.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Wie hat Holly dich genannt? Ehrlich.«
Wir umarmten uns, und ich presste meine Stirn an seine.
Unsere Beziehung besaß plötzlich eine neue Ebene der Ernsthaf-tigkeit, als wüssten wir beide, dass wir uns gerade auf etwas Großes und Großartiges einließen. Dass es nun kein schnelles Zurück mehr gab. Nach einer Weile sagte ich: »Charlie hat eine Affäre.«
»Charlie? Mit wem denn?«
»Naomi.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach. Sie haben sich heute so angesehen.«
»Er hat eine schwere Zeit hinter sich«, meinte Todd. »Wahrscheinlich ist die Sache bald wieder vorbei.«
»Ja, das hoffe ich. Du meinst also nicht, dass ich deswegen etwas unternehmen sollte?«
»Was könntest du schon tun? Es ihr sagen? Bloß nicht! Du kannst nur hoffen, dass sie es nie erfährt.«
34
Ich sah Holly erst wieder am zweiten Januar, auch wenn wir in der Zwischenzeit ein paarmal telefonierten. Ich war zu sehr damit beschäftigt, glücklich zu
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