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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ich einen zurückwich, sodass ich mit dem Rücken an der Bar klebte.
    »Ich glaube, du brauchst Hilfe«, sagte ich. »Ärztliche Hilfe.«
    Ihr ganzes Gesicht schien vor Wut zu beben. Es war, als würde eine Maske aufreißen. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
    »Wie kannst du es wagen zu behaupten, mit mir sei etwas nicht in Ordnung?«, fauchte sie. »Wie kannst du es wagen? Erst feuerst du mich, und dann unterstellst du mir, ich sei krank im Kopf. Das Einzige, was mich krank macht, bist du!«
    Mit diesen Worten hob sie die Hand und holte dabei wütend in meine Richtung aus. Dabei schlug sie mir das Glas aus der Hand, sodass mein Tomatensaft in hohem Bogen durch die Luft flog und anschließend auf uns beiden landete. Ich sah Deborah an. Sie hatte einen großen roten Fleck auf ihrer weißen Bluse, und ihr Gesicht war übersät mit dicken roten Safttropfen.
    »Oje! Jetzt siehst du aus wie ein Jackson-Pollock-Gemälde«, stellte ich fröhlich fest.
    »Holly, alles in Ordnung? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Vor mir stand ein großer, schlaksiger Mann mit einer Haken-nase, ein wenig eng beieinander liegenden Augen und einem Schopf aus blondem, bereits leicht ergrauendem Haar. Weißes Hemd, schwarze Lederjacke, graue Cordhose, geschnürte, knöchelhohe Wildlederschuhe. Stuart vom Wochenende. Der Mann, der zu früh ejakulierte und sich in Gegenwart seiner Söhne unsichtbar fühlte. Ich lächelte ihn an. Ausnahmsweise freute ich mich mal, einen Kunden außerhalb der Bürozeiten zu treffen. »Ich wette, ich weiß, wo alle Ihre Möbelstücke her-stammen«, sagte ich mit einem Kichern, das sogar in meinen eigenen Ohren ein wenig verrückt klang.
    »Meine Möbelstücke? «
    »Gap. Zumindest ist das da ein klassisches Gap-Shirt. Und ja, nachdem Sie schon fragen, Sie können tatsächlich helfen. Sagen Sie doch bitte Deborah – das hier ist übrigens Deborah –, dass sie mir einen neuen Tomatensaft bestellen soll. Dann verzichte ich darauf, ihr die Reinigungsrechnung zu schicken.«
    »Ist das auch wieder einer von deinen Liebhabern?«, fragte Deborah. »Du hast wohl eine ganze Sammlung, oder? Passen Sie bloß auf«, fügte sie an Stuart gewandt hinzu. »Sobald Sie keine Verwendung mehr für Sie hat, kickt sie Sie einfach in den Müll.«
    »Wir kommen zu spät zu der Ausstellung, Holly«, sagte Stuart, obwohl er gerade fasziniert Deborah anstarrte. »Ziehen Sie Ihren Mantel an, dann können wir gehen.«
    »Ich bin noch nicht mit dir fertig«, erklärte Deborah, während ich in meinen Mantel schlüpfte. »Wart’s nur ab. Du kannst nicht aus einer Laune heraus das Leben eines Menschen ruinieren und dann einfach davonmarschieren.«
    Ich nahm Stuart am Arm. »Lassen Sie uns gehen.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte er mit seltsam ritterlicher Förm-lichkeit zu Deborah. »Es tut mir Leid, dass wir uns unter solchen Umständen kennen gelernt haben.«
    »Ach, hören Sie doch auf.«

    Er zögerte einen Moment. Noch immer starrte er in Deborahs wütendes, schönes Gesicht. Dann wandte er sich zum Gehen.
    »Ich mache dich fertig!«, rief sie uns nach. »Glaub nur nicht, dass du mir ungestraft davonkommst, du Miststück!«
    »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte ich draußen auf der Straße zu Stuart und ließ seine Hand los. »Bestimmt haben Sie jetzt eine fürchterliche Meinung von mir.«
    »Unsinn, es hat mir Spaß gemacht, Sie wie ein Ritter aus einer misslichen Lage befreien zu können. Was haben Sie dieser Deborah denn so Schlimmes angetan?«
    »Ach, da ging’s bloß um ein Problem im Büro.«
    »Hmm. Das klang eben aber nach einem Problem, das ein wenig außer Kontrolle geraten ist.«
    »Ja«, sagte ich. Erst jetzt merkte ich, dass ich ganz wackelige Knie hatte. »Sie haben wahrscheinlich Recht. Und vielleicht hatte Deborah auch Recht, als Sie mich ein Miststück nannte.
    Ich weiß es nicht.«
    »Was wirft sie Ihnen vor?«
    »Hauptsächlich, dass ich sie entlassen habe. Es blieb mir nichts anderes übrig. Wir sind nur eine kleine Firma, ein bisschen wie eine Familie. Wir müssen uns aufeinander verlassen können, oder das Ganze bricht zusammen. Aber ich weiß, dass ich oft zu sehr auf Konfrontationskurs gehe. Kompromisse sind nicht gerade meine Stärke. Charlie sagt immer, dass ich bei Streitgesprächen grundsätzlich den ersten Teil überspringe, der eigentlich aus ruhiger, vernünftiger Argumentation bestehen sollte, und gleich die schweren Geschütze auffahre. Aber ich denke, wir sollten versuchen, zu irgendeiner Art

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