Der Feind in deiner Nähe
Annie eine fröhliche Postkarte, auf der ich mich für den wunderbaren Abend bedankte und auch eine frivole Bemerkung zum Thema Glenn fallen ließ. Es kam keine Reaktion. Weder von ihr noch von ihm. Etwa ein Jahr später traf ich Annie zufällig auf einer Party. Als ich das Abendessen erwähnte, murmelte sie lediglich etwas Unverständliches. Ich erkundigte mich auch nach Glenn, aber sie antwortete nur ganz vage, sie wisse nichts Genaueres.
Dann wurde sie regelrecht unfreundlich, blickte sich über meine Schulter hinweg im Raum um und ließ mich kurz darauf mit einer knappen Entschuldigung stehen.
Ich ging den Abend im Geiste immer wieder durch und be-mühte mich, ihn aus der Perspektive der anderen zu sehen. Hatte ich mir möglicherweise etwas vorgemacht? Mir nur eingebildet, besonders charmant zu sein, während ich in Wirklichkeit laut und aufdringlich war? Vergeblich versuchte ich, mich an die Reaktionen der anderen zu erinnern. Vielleicht war das genau das Problem gewesen. Vielleicht hatte ich sie gar nicht zu Wort kommen lassen.
Ich war nicht sicher, ob das nur mir so ging oder ob alle Menschen hin und wieder eine solche Diskrepanz zwischen ihren eigenen Gefühlen und denen ihrer Mitmenschen erlebten. Ich war der Meinung gewesen, Glenn hoffnungslos in mich verliebt gemacht zu haben, aber er hatte sich einfach in nichts aufgelöst.
Und nun dieser schreckliche Rees. Für mich nur ein spontaner, bedeutungsloser, im Nachhinein abstoßender One-Night-Stand.
Er dagegen schien zu glauben, dass wir dadurch auf ewig miteinander verbunden waren. Ich wusste nicht, ob er mich liebte oder hasste und welche der beiden Möglichkeiten die schlimmere war. All diese Diskrepanzen. Wenn doch nur die äußere Welt mit der in unserem Kopf übereinstimmen würde.
Oder zumindest die Welt in unserem eigenen Kopf mit der in den Köpfen unserer Mitmenschen.
Nichts passte zusammen. Du trägst Kopfhörer, bildest dir aber ein, in normaler Lautstärke zu sprechen, während um dich herum die Leute zusammenzucken, weil du so schreist. Die ganze Zeit ging das so. Ich wusste, dass die Dinge außer Kontrolle geraten waren, sowohl in meinem Leben als auch in meinem Kopf. In mir tobte ein richtiger Sturm. Am besten, ich machte alle Luken dicht und wartete einfach, bis er sich wieder gelegt hatte, genau wie Glenn es wahrscheinlich tat, wenn er mit einer seiner Yachten rund um die Welt segelte. Im Laufe des mittlerweile so legendären Abendessens hatte ich ihn nach dem schlimmsten Sturm gefragt, den er je erlebt habe, aber wie sehr ich auch mein Gehirn zermarterte, ich konnte mich nicht an seine Antwort erinnern. Wahrscheinlich hatte ich ihn gar nicht zu Wort kommen lassen.
So ist es im Leben immer. Wenn man sich wirklich wünscht, dass etwas gut läuft, endet es meist in einem Desaster. Ist es dir aber egal, dann scheint jeder von dir begeistert zu sein. Und genau deswegen lief die Präsentation vor einer Gruppe von Geschäftsleuten an diesem Vormittag – zu einer Zeit, als ich so viel anderes im Kopf hatte – wie geschmiert. Ich warf nicht einmal einen Blick auf meine Notizen, sondern trat einfach auf die Bühne und spielte meine Rolle. Der Mann, der mich vorgestellt hatte, wollte mich gar nicht mehr gehen lassen. Er sprach über das, was ich gesagt hatte, stellte mir Fragen über Geschäftsstrategien und schlug vor, ich solle doch mal bei ihnen im Büro vorbeikommen, damit ich sie bei der Arbeit sehen könne. Demnach hatten wir den Auftrag. Ich raste zurück ins Büro, besprach kurz ein paar Sachen mit Trish, während Lola den Mietwagen für mich organisierte, genehmigte mir noch schnell einen doppelten Espresso und sprang dann in den Wagen, der nach Leder, Kiefernnadeln und Sauberkeit roch.
Wie immer dauerte es eine Ewigkeit, aus London hinauszu-kommen. Allmählich führte ich das Leben einer Pendlerin, nur ohne das Haus auf dem Land. Nervös wechselte ich immer wieder die Fahrspur, obwohl die Autoschlangen alle gleich langsam dahinkrochen, ließ an jeder roten Ampel ungeduldig den Motor aufheulen und warf alle paar Minuten einen besorg-ten Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Irgendwie erschien es mir wichtig, dass ich pünktlich ankam, obwohl ich im Grunde genau wusste, dass es keine so große Rolle spielte.
An einer Ampel fuhr ich mit quietschenden Reifen los. Der Wagen, den ich hinter mir zurückließ, hupte wütend und ordnete sich an der nächsten Ampel neben mir ein. Durchs Fenster wetterte ein Mann zornig zu mir herüber, und
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