Der Feind in deiner Nähe
Stimmengewirr erfüllt. Ich nahm von einem Tablett, das mir hingehalten wurde, ein edel geformtes Glas, das bis zum Rand mit kühlem gelbem Wein gefüllt war, und schloss mich der Menge an.
»Cheers«, sagte Stuart in dem ironischen Ton, der bei ihm anscheinend ganz normal war. »Wie wäre es übrigens, wenn wir uns duzen würden?«
»Gerne«, antwortete ich. »Cheers!« Ich hob mein Glas, das im Licht der Scheinwerfer richtig schön funkelte, und nahm dann einen großen Schluck. »So, nun wollen wir uns mal die Arbeiten deines Freundes ansehen. Ist er hier? Welcher ist es? Und wie heißt er?«
»Laurie. Er hält sich wahrscheinlich im Raum nebenan auf oder versteckt sich in dem Pub am Ende der Straße.«
»Die Sachen gefallen mir«, sagte ich. »Wirklich. Das da hätte ich gern auf meinem Kaminsims stehen. Ich werde übrigens nicht mit dir schlafen.«
Stuart schien sich verschluckt zu haben. Er hustete so heftig, dass ich ihm auf den Rücken klopfen musste.
»Ich bin mit einem Mann namens Charlie Carter verheiratet«, fuhr ich fort, nachdem er sich einigermaßen gefangen hatte. »Ich glaube, das hatte ich dir schon erzählt. Er ist Künstler, auch wenn ich finde, dass er Klempner werden sollte. Schau, ich trage einen Ring.«
»Ja, ich sehe es.«
»Obwohl ich ihn manchmal abnehme. Vielleicht sollte ich das nicht tun.«
»Du wirkst nicht wie eine verheiratete Frau.«
»Was soll das heißen? Eine verheiratete Frau. Es gibt wahrscheinlich eine Menge viktorianischer Romane, die so ähnliche Titel haben. Ich weiß jedenfalls nicht genau, was es heißt.
Bedeutet es vielleicht, dass ich Biskuitkuchen backen und mit
… mit Konfitüre und Sahne füllen sollte? Und in der Küche eine Schürze tragen? Und herumlaufen und ›Ich bin Holly-und-Charlie‹ sagen? Und ihn immer anrufen und um Erlaubnis bitten, wenn ich etwas unternehmen möchte, so wie jetzt?« Ich zog mein Handy aus der Tasche und schwang es durch die Luft.
Ein wenig Wein schwappte aus meinem Glas. »Vielleicht sollte ich ihn jetzt wirklich anrufen und fragen, ob er seiner Frau gütigerweise erlaubt, mit einem Mann mittleren Alters, der Stuart heißt und Gap-Hemden trägt, eine Kunstgalerie zu besuchen. Sieh mal, das da drüben gefällt mir, das mit dem polierten Metall. Es wirkt irgendwie weich, obwohl es gleichzeitig so funkelt. Man bekommt richtig Lust, es anzufassen, findest du nicht?«
Stuart warf mir einen bösen Blick zu, leerte sein Glas in einem Zug und knallte es dann auf ein Tablett, das gerade vorbeigetra-gen wurde. »Bist du immer so grob?«
»Bin ich das?« Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche, wo es gleich darauf zu vibrieren begann, was ich aber ignorierte.
»Tut mir Leid. Ich möchte wirklich nicht grob zu dir sein. Ich hab dir ja gesagt, dass ich ein bisschen müde bin, das ist alles.
Ich bin halt eine Idiotin, eine richtige Närrin. Ich mag dich.
Findest du nicht auch, dass man manchmal Leute kennen lernt, bei denen man sofort weiß, ob man mit ihnen befreundet sein könnte oder nicht? Das ist, als würde es Klick machen. Weißt du, was ich meine? Es heißt immer, der wichtigste Moment in einer Beziehung ist die erste Sekunde oder so – aber vielleicht gilt das nur für Liebespaare. Ich weiß auch nicht so recht, ob das ein wunderbarer oder ein erschreckender Gedanke ist. Jedenfalls gibt es einem nicht gerade das Gefühl, großen Einfluss auf diese Dinge zu haben, oder? Nein, wahrscheinlich nicht. Ist das dein Künstler, der uns da zuwinkt? Mein Gott, ist der groß! Fast schon ein Riese. Kann es sein, dass das irgendwie ein bisschen lächerlich aussieht, oder sehen neben ihm alle anderen lächerlich aus?«
»Ja, das ist Laurie.«
Auf dem Weg zu ihm kamen wir an einer großen Frau mit einer prächtigen Mähne roten Haars vorbei, die gerade eine der Skulpturen betrachtete. An ihre Begleiterin gewandt, sagte sie mit lauter, klarer Stimme: »Ziemlicher Schrott, findest du nicht auch?«
Ich sah, wie Lauries freundliches, eben noch lächelndes Gesicht plötzlich einen völlig leeren Ausdruck annahm, als hätte jemand einen Schwamm genommen und auch noch die letzten Spuren von Freude weggewischt. Selbst seine Augen schienen sich in tiefe, ausdruckslose Höhlen zu verwandeln. Ich trat auf ihn zu und starrte zu ihm hinauf. »Ich finde Ihre Skulpturen wundervoll«, sagte ich noch lauter als die Frau. »Wirklich wundervoll. Wahrscheinlich fehlt manchen Leuten das richtige Verständnis dafür, aber mir gefallen sie so gut,
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