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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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versuchte den gepolsterten Umschlag aufzureißen, der, wie sich herausstellte, mit diesem schrecklichen grauen Flusenzeug gefüllt war, das man dann überall in der Wohnung hat, und rammte mir bei dem Versuch eine Heftklammer in den Finger.
    »Ich kann diese blöden Dinger nicht ausstehen!«, schimpfte ich.

    »Die gehören doch verboten, genau wie Frischhaltefolie!«
    »Komm, lass mich das machen«, sagte Charlie. Er nahm mir den Umschlag aus der Hand, öffnete ihn und fuhr mit der Hand hinein. »Was hast du eigentlich gegen Frischhaltefolie?«
    »Sie ist –«, begann ich, aber dann blieben mir die Worte im Hals stecken.
    »Was ist denn das?«, fragte Charlie.
    Ich starrte auf das zarte schwarze Ding, das an seinen Fingern baumelte. Mir war plötzlich so heiß, als hätte ich Fieber. Ich spürte die Schweißtropfen auf meiner Stirn.
    »Irgendein blöder Werbegag«, antwortete ich mit hoher, fröhlicher Stimme, während ich ihm den Slip aus der Hand riss.
    »Wer sich das wohl wieder ausgedacht hat? Stellt euch vor, eine Schar mittelalterlicher, Anzug tragender Geschäftsmänner sitzt um einen glänzenden Tisch herum, und einer von ihnen sagt:
    ›Wir sollten allen unseren Kunden sexy Unterwäsche schicken.‹«
    Naomi drehte den Umschlag um. »Für was soll denn da ge-worben werden, Holly?«
    »Das ist ja gerade der Gag«, antwortete ich verzweifelt. Ich presste den Slip an meine Wange und stellte dabei fest, dass er nicht gewaschen war. Er roch nach mir. Ich spürte, wie es mir die Schamröte ins Gesicht trieb. »Die wollen, dass man sich fragt, was das Ganze zu bedeuten hat.«
    »Das haben sie definitiv geschafft«, meinte Luke und kicherte.
    »Bald darauf«, plapperte ich weiter, »schicken sie ein zweites Päckchen, und dann kapiert man, worum es geht. Das ist zur Zeit total angesagt. Der letzte Schrei. Im Büro bekommen wir dauernd solche Dinger, das geht mir langsam richtig auf den Keks. Und nun schicken sie mir das Zeug sogar schon nach Hause. Noch dazu eine ganz falsche Größe. Seht euch das an.
    Das Ding passt mir doch nie im Leben, oder? Am besten, ich werfe es gleich in den Müll, oder was meint ihr?«
    Charlie sagte gar nichts. Sein Blick war auf den Slip in meiner schweißnassen Hand gerichtet und dann auf mich.

    10
    Ich bestellte mir an der Bar einen gewürzten Tomatensaft.
    Obwohl es erst zwanzig nach fünf war, wurde es draußen schon dunkel. Bald würde nicht mehr Herbst sein, sondern richtig Winter, mit kurzen grauen Tagen und langen schwarzen Nächten. In gewissen Stimmungen mag ich die Dunkelheit. Sie hat für mich dann nichts Beängstigendes, sondern eher etwas von einer Samtdecke, die mich schützend einhüllt.
    »Hab ich es mir doch gedacht, dass ich dich hier finde!«
    Als ich mich umdrehte, sah ich ein Gesicht, das ich zwar kannte, ohne das entsprechende Umfeld aber zunächst nicht einordnen konnte. Es war ein glattes, bleiches Gesicht, einge-rahmt von dunklem, streng zurückgebundenem Haar und durchaus attraktiv, auch wenn es im Moment gerade ziemlich feindselig wirkte. Der rote Mund war aufgerissen, und Worte quollen heraus.
    »Holly Krauss. Schwenkt hier ihren Drink, als gäbe es nichts auf der Welt, weswegen sie sich Sorgen machen müsste.«
    »Deborah«, sagte ich verblüfft. »Was machst du denn –«
    »Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du mich nicht wiedersiehst, oder? Ich habe dir doch gesagt, dass du mich so leicht nicht loswirst.«
    »Was willst du?«
    »Was ich will? Was ich will? Ich will meinen Job wiederha-ben. Ich will meine Wohnung behalten. Ich will meine Selbstachtung zurück. Und ich will eine Entschuldigung. Ich will, dass du zu Kreuze kriechst. Und wenn du das nicht tust, dann will ich nur noch eins: dich fertig machen. Und das werde ich, du wirst schon sehen.«
    Ich brachte ein Achselzucken zustande, von dem ich hoffte, dass es möglichst desinteressiert wirkte. »Wenn du etwas zu sagen hast, dann musst du mit unserem Anwalt sprechen.«
    »Ja, ja, das haben wir schon. Aber ich wollte auch mit dir sprechen. Persönlich. Du kannst nicht einfach das Leben eines Menschen ruinieren und dann erwarten, dass es damit getan ist, das Ganze einem Anwalt zu übergeben.«
    Ich sah in ihr cremeweißes Gesicht mit den markanten Augenbrauen und dem roten Mund. »Hör zu, Deborah, ich möchte das hier nicht besprechen –«
    »Du möchtest es nicht besprechen«, unterbrach mich Deborah.
    »Du möchtest es nicht besprechen? Arme Holly.«
    Sie trat einen Schritt vor, während

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