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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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schließlich doch, die Treppe hinaufzugehen, zurück in die von hellem Licht und Gelächter erfüllte Bar und vor dort hinaus auf die dunkle Straße.

    17
    Ich schaute mich um. Eine stämmige Gestalt stolperte aus einer Seitengasse, und ich rang einen Moment nach Luft, aber es war nicht er, sondern irgendein anderer Mann im Anzug. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, dass es erst kurz nach sieben war. Im Juni wäre es jetzt noch stundenlang hell gewesen.
    Wohin? Am besten nach Hause, aber die Taxis, die vorbeifuh-ren, waren alle besetzt, und mit der U-Bahn konnte ich in diesem Zustand unmöglich fahren. Ich zog mein Handy heraus, aber wen sollte ich anrufen? Vorsichtig legte ich eine Hand an meine Wange und unter mein Auge, berührte die angeschwolle-ne Haut. Das fühlte sich gar nicht gut an. Ich wickelte mich noch fester in meinen Mantel und versuchte, nicht daran zu denken, wie besitzergreifend seine Hand über meinen Körper geglitten war. Mir war kalt und übel.
    Ich beschloss, zurück ins Büro zu gehen. Normalerweise hätte ich für die kurze Strecke nur eine Minute gebraucht, aber meine Beine zitterten so stark, dass ich nur ganz langsam vorankam.
    Außerdem musste ich mich immer wieder umsehen, ob er sich noch irgendwo in der Nähe befand. In der Firma angekommen, ging ich geradewegs zur Toilette, schaltete das Licht an, stellte mich vor den Spiegel und betrachtete die Fremde, die mir entgegenstarrte. Die Augen waren blutunterlaufen, die Haut geschwollen, das Kleid zerrissen, und die Wange zierte ein Bluterguss. Ich zog den Mantel aus und inspizierte den Schaden.
    Dann drehte ich das kalte Wasser auf und kühlte damit mein Gesicht. Als Nächstes tastete ich die Stelle an meinem Hinterkopf ab, mit der ich gegen die Wand geknallt war. Als ich anschließend meine Finger betrachtete, musste ich feststellen, dass sie blutverschmiert waren. Allmählich begann ich auch den Schmerz zu fühlen, der zunächst ausgeblieben war, und gleichzeitig überkam mich ein Gefühl tiefster Verzweiflung. Mir wurde davon richtig schwindlig, sodass ich mich am Waschbecken festhalten musste, um nicht umzukippen.
    Ich schloss die Augen. Dann hörte ich draußen ein Geräusch.
    Schritte kamen näher, ein Licht ging an. Ich konnte mich nicht bewegen, starrte einfach nur auf die lädierte, hilflose Frau im Spiegel. Die Schritte kamen näher, setzten kurz aus, bewegten sich dann weiter in meine Richtung. Knarrend ging die Tür auf.
    Dann stand plötzlich Meg hinter mir. Ich drehte mich nicht um, aber unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und wir starrten uns wortlos an. Es war, als könnte sie einfach in mich hineinsehen, mit ihren Röntgenaugen in all die scheußlichen Teile von mir vordringen, von denen nicht einmal ich selbst wusste. In dem Moment fühlte ich mich so verängstigt und allein, dass ich es kaum noch schaffte, mich aufrechtzuhalten und weiter ihren Blick zu erwidern. War das, was sie mir entgegenbrachte, ein Gefühl von Freundschaft, das über Zuneigung und vielleicht sogar Liebe hinausging, eine Art furchteinflößendes, bis ins Innerste reichendes Wissen und Kennen? Oder war es etwas anderes?
    »Meg«, sagte ich schließlich. »Was?«
    »Das muss ein Ende haben.« Sie trat noch einen Schritt näher und legte mir eine Hand auf die Schulter. Durch mein dünnes Kleid spürte ich ihre warmen Finger. Ich empfand ihre Hand als sehr schwer. Wollte sie mich trösten, oder war das eher die Geste einer Wärterin, die eine Gefangene abführen wollte? Ich drehte mich zu ihr um. Sie legte mir einen Arm um die Schulter und geleitete mich ins Büro zurück.

    »Du musst zur Polizei gehen – das wollte ich ja von Anfang an, aber jetzt musst du.«
    »Aber –«

    »Kein Aber. Der Typ ist gefährlich – das war mir schon klar, als ich ihn das erste Mal sah. Er wird es nicht dabei belassen.«
    »Meg?«
    »Ich fahre jetzt mit dir aufs Revier. Mein Wagen steht draußen in der Ladezone. Ich wollte nur schnell ein paar Akten holen.
    Warte, ich bringe dir deinen Mantel.«
    Sie kam mit dem Mantel zurück, half mir hinein und führte mich dann hinunter zu ihrem Wagen.
    »Meg«, sagte ich, nachdem wir eingestiegen waren und Meg den Wagen angelassen hatte.
    »Ja?«
    »Was ist mit mir los?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich hab das Gefühl, dass du mir etwas verschweigst.«
    »Wir sprechen später darüber.«
    »Wir hatten doch früher nie Geheimnisse voreinander. Wir haben uns immer alles erzählt.«
    »Jetzt musst du erst mal zur

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