Der Feind in deiner Nähe
Polizei und diesen Rees anzeigen.
Alles andere kann warten.«
»Ich hasse es, wenn ich warten muss.«
»Ich weiß.«
»Hat Charlie eine Affäre?«
»Später, Holly.«
»Ich habe Recht, stimmt’s? Ich könnte es ihm nicht verdenken.
Die Frage ist nur, mit wem? Meg, mit wem?«
»Wir sind da.«
Als ich nach einer Wartezeit von vierzig Minuten schließlich einer Beamtin namens Gill Corcoran gegenübersaß, stellte ich fest, dass ich gar nicht recht wusste, wie ich die Geschichte erzählen sollte. Sie war so schwer in Worte zu fassen, so präsent und zugleich verschwommen, wie ein Alptraum, der einen schweißüberströmt aus dem Schlaf hochfahren lässt. Dass ich es am Ende doch schaffte, mich bis an ihr hässliches Ende durchzukämpfen, hatte ich hauptsächlich Meg zu verdanken, die neben dem Schreibtisch saß und mir immer wieder auf die Sprünge half, wenn ich stecken blieb.
Gill Corcoran hatte ein nettes Gesicht, kluge Augen und eine sympathische, anteilnehmende Art zuzuhören. Sie füllte den vor mir stehenden Styroporbecher immer wieder mit Wasser, das ich in großen Schlucken trank, als könnte ich damit alles hinunter-spülen, alles aus mir herausschwemmen. Sie ließ sich von mir in allen Einzelheiten schildern, wie Rees mich geschlagen hatte.
Sie begutachtete meine Wange und die Wunde an meinem Kopf, die immer noch blutete. Sie bat mich, ihr genau zu zeigen, wo er mich angefasst, was er alles gemacht hatte.
Ich schaute Meg nicht an, spürte aber ihren Blick, während ich erzählte, wie ich ihn kennen gelernt hatte. Ich berichtete von der Nacht, die wir zusammen verbracht hatten. Von den Anrufen, mit denen er Charlie belästigt, und von dem Slip, den er mir geschickt hatte. Meg starrte auf ihre Hände in ihrem Schoß.
Einmal sah ich – oder spürte eher –, wie sie zusammenzuckte, aber ich sprach einfach weiter. Nun erfuhr sie endlich, was für ein Mensch ich wirklich war. Gill Corcoran wirkte nicht geschockt und schien mich auch nicht zu verurteilen, wofür ich ihr sehr dankbar war.
»Ich werde jetzt ganz ehrlich zu Ihnen sein, Miss Krauss.«
»Holly.«
»Holly. Wir können ihn verhören. Eine Anzeige wäre auf-grund mehrerer Tatbestände berechtigt. Aber das wird nicht einfach.«
»Sehen Sie sich den Bluterguss an«, mischte Meg sich ein.
»Sie hatten eine Beziehung mit diesem Mann.«
»Keine Beziehung, sondern einen völlig sinnlosen, widerlichen One-Night …«
»Das geht mich nichts an. Ich weiß nur, wie es aussehen würde – oder wie man es aussehen lassen würde –, falls die Sache jemals vor Gericht käme.«
»Ich war betrunken«, räumte ich ein. »Betrunken, dumm, treulos, verrückt. Aber wollen Sie damit andeuten, dass er mich ungestraft überfallen und bedrohen kann, nur weil ich ein einziges Mal mit ihm Sex hatte?«
»Nein, das wollte ich damit ganz und gar nicht andeuten. Ich möchte nur, dass Ihnen bewusst ist, was das alles nach sich ziehen würde. Sie müssten vor Gericht all das schildern, was Sie gerade mir geschildert haben. Ihr Privatleben und Ihr Verhalten in dieser Sache würden einer genauen Prüfung unterzogen werden. Wissen Sie, wie viele Vergewaltigungsfälle mit einer Verurteilung enden?«
»Nein.«
»In manchen Gegenden des Landes nicht mal einer von fünf.
Obwohl da auch die Fälle mitgerechnet werden, bei denen das Opfer von einer ihr fremden Person vergewaltigt wird. Und das sind nur die Fälle, die überhaupt vor Gericht landen, weil die Polizei und die Staatsanwaltschaft eine Chance auf eine Verurteilung sehen. In den Fällen, bei denen das Opfer im Rahmen einer Verabredung vergewaltigt –«
»Er hat mich nicht vergewaltigt. Und es gab nie eine Verabredung«, stellte ich mit tonloser Stimme richtig.
»Mich brauchen Sie nicht zu überzeugen, Holly. Sie müssen sich bloß darüber im Klaren sein, worauf Sie sich einlassen. In Ihrem eigenen Interesse.«
»Verstehe.«
»Sie sind eine verheiratete Frau.«
»Ja.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann sagte Meg wütend: »Aber er versucht es vielleicht wieder.«
Gill Corcoran gab ihr keine Antwort. Sie sah mich nur an. Mir war klar, dass sie Recht hatte.
»Sie würden Hackfleisch aus mir machen«, sagte ich. Ich wandte mich zu Meg. »Ich hatte kürzlich einen Traum. Einen Alptraum. Alle möglichen Leute deuteten laut schreiend mit dem Finger auf mich, ihre Gesichter waren zum Teil unscharf, zum Teil scharf, aber das änderte sich ständig. Rees war da, und Deborah auch. Und der Typ, der
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