Der Feind in deiner Nähe
Sie wieder.«
»Nett haben Sie es hier.« Er stieß schon wieder dieses seltsam kreischende Lachen aus. Dann zog er lautstark die Nase hoch und wischte sie sich anschließend mit dem Arm ab.
»Ich rufe die Polizei.«
Er zog etwas aus seiner Tasche – ich konnte nicht sehen, was es war – und warf es von einer Hand in die andere. Dann machte es plötzlich Klick, und in dem dämmrigen Licht blitzte eine Messerklinge auf. Wir starrten sie beide an. Er lächelte, als hätte er gerade einen Zaubertrick vorgeführt.
»Lassen Sie das lieber sein.« Er klappte das Messer wieder zu und schob es zurück in seine Tasche. Wieder zog er die Nase hoch und kratzte sich dann ausgiebig am Arm. Er roch penetrant nach nassem Hund, Achselschweiß und Lösungsmitteln. Dieser Kerl ist völlig durchgeknallt, dachte ich. Er war bestimmt zu allem fähig. Ich ballte die Fäuste.
»Was wollen Sie?«
»Erst mal ein Bier.«
Er packte mich am Handgelenk und zerrte mich hinter sich her in die Küche, wo er den Kühlschrank aufriss und hineinspähte.
»Das hier tut’s.« Er öffnete es, nahm einen großen Schluck und rülpste laut. »Alles schick und ordentlich hier. Bestimmt macht ihr sogar eure Betten.« Wieder dieses kreischende Lachen. »Du kennst Vic Norris.«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Du schuldest ihm elftausend Pfund. Genau genommen«, fügte er hinzu, »schuldest du das Geld einer Firma namens Cowden Brothers.«
»Ich wollte das nicht«, sagte ich. »Mir ging es an dem Abend nicht gut. Außerdem kann ich gar nicht richtig Poker spielen.
Ich wusste überhaupt nicht, was ich da tat.«
Er sah mich mit einem breiten Grinsen an. »Der Bluterguss an deiner Wange sieht böse aus.«
»Außerdem habe ich neuntausend verloren, nicht elf.«
Er nahm ein paar weitere Schlucke von dem Bier und seufzte tief. »Mir egal«, sagte er dann. »Ich richte dir nur aus, was er zu mir gesagt hat. Zeit, deine Schulden zu bezahlen. Kapiert?«
»Ja«, antwortete ich. Ich wollte ihn bloß aus dem Haus haben.
Er aber ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen, als hätte er alle Zeit der Welt, und streckte die Beine aus. An Kopf und Armen hatte er Schorfstellen, an denen er ständig mit seinen heruntergekauten Nägeln herumkratzte.
»Mal sehen, was da so drin ist.« Mit diesen Worten zog er meine Tasche zu sich herüber und begann darin nach meiner Geldbörse zu wühlen. Schließlich wurde er fündig und öffnete sie. Sie enthielt fünfundzwanzig Pfund und ein bisschen Kleingeld. Er nahm alles heraus und schob es in seine Hosenta-sche.
»Was sagt denn dein Mann zu dem Ganzen?«
Ich gab ihm keine Antwort.
»Ich wette, du hast es ihm nicht erzählt.« Er stand auf und stellte sich so dicht vor mich hin, dass ich seinen Bieratem auf meinem Gesicht spürte. »Also, was habe ich dir noch nicht ausgerichtet? Ach ja. Vic sagt, im Moment sind es elf, aber in einer Woche werden es zwölf sein. Noch eine Woche später dreizehn. Und so weiter. Kapiert? Ich werde wiederkommen und es holen. Cash.«
Ich nickte.
»Mein Name ist Dean. Bis dann, Holly.«
Er spazierte aus der Küche in die Diele und von dort zur Tür hinaus. Ich folgte ihm bis an die Haustür und sah ihm nach, wie er den Gehsteig entlangwankte und dabei an Charlie vorbeiging, der aus der Gegenrichtung kam. Rasch schloss ich die Tür und lehnte mich mit einem Wimmern dagegen, bis ich Charlie wenige Augenblicke später mit dem Schlüssel hantieren hörte.
Ich richtete mich auf, straffte die Schultern und setzte ein Begrüßungslächeln auf. »Hallo, Charlie«, sagte ich, während er mit roten Wangen und strahlenden Augen eintrat. Sein Gang wirkte beschwingt. »Ich bin auch gerade erst gekommen«, erklärte ich. »Ich bin gestürzt und habe mich an der Wange verletzt, aber keine Sorge, es sieht schlimmer aus, als es ist.
Hattest du einen schönen Tag?«
Oh, hilf mir, hilf mir, hilf mir, liebster Charlie. Jemand muss mir helfen. Irgendjemand. Hilf mir, bevor ich zusammenbreche.
Aber das sagte ich nicht.
19
Am nächsten Tag weckte mich Charlie. Er half mir, mich aufzusetzen, und reichte mir dann ein Flanelltuch mit Eiswürfeln für meine Wange und eine Tasse sehr starken Kaffee. Er ließ sich neben mir auf der Bettkante nieder und sah zu, wie ich ihn trank. Danach ging es mir etwas besser. Die Glasschicht, die mich von der Welt zu trennen schien, wurde ein wenig dünner.
»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Das mit … na ja, eigentlich alles.«
»Ist schon gut«, meinte er und
Weitere Kostenlose Bücher