Der Feind in deiner Nähe
fleckigen Klamotten steckten. Wir sprachen kaum miteinander, bis Charlie vor dem Haus anhielt. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Ich hätte bei dir sein sollen. Dich beschützen sollen.«
»Die Polizei, dein Freund und Helfer, war ja gerade noch rechtzeitig zur Stelle«, antwortete ich. »Wer hat sie informiert?«
»Du selbst, soviel ich weiß.«
»Mir blieb doch gar keine Zeit, ihnen die Adresse zu nennen.«
»Das ist gar nicht nötig.«
»Wie praktisch.«
»Ich dachte, er wäre ein Freund von dir«, sagte Charlie.
»War er ja auch«, erwiderte ich. »Mittlerweile hassen mich meine Freunde noch mehr als meine Feinde.«
Wir stiegen aus und gingen die Stufen zur Haustür hinauf.
»Sag so was nicht«, meinte Charlie.
Wir gingen hinein. Ich setzte gerade zu einer Entschuldigung an, als Charlie ebenfalls zu reden begann, woraufhin wir uns beide entschuldigten und dem anderen den Vortritt lassen wollten. Ich bestand darauf, dass Charlie den Anfang machte.
»Fühlst du dich einigermaßen?«, fragte er.
»Ist das wirklich das, was du vorhin sagen wolltest?«
»Nein. Ich wollte mich entschuldigen. Eigentlich sollte ich jetzt hier bleiben und mich um dich kümmern, aber ich habe eine Besprechung. Wegen eines Auftrags.«
»Das ist ja großartig«, sagte ich. »Mit wem denn?«
»Einem Typen von einer Fachzeitschrift. Der Name würde dir nichts sagen.«
»Das freut mich so für dich. Wann ist denn die Besprechung?«
»Jetzt, fürchte ich. Macht es dir nichts aus?«
Ich berührte ihn am Arm. »Ab mit dir! Ich werde mich einfach ein bisschen ausruhen.«
»Ich hab kein gutes Gefühl dabei, dich jetzt allein zu lassen.«
»Unsinn«, sagte ich. »Das ist wirklich kein Problem. Die Gefahr ist gebannt, der Stier sozusagen bei den Hörnern gepackt. Und in meinem Zustand kann ich sowieso keine Bäume mehr ausreißen.«
Er lächelte. »Ich hab dich vorhin unterbrochen«, sagte er.
»Was wolltest du sagen?«
»Ich wollte mich noch einmal entschuldigen.«
»Wofür?«
»Für die Wiederholung.«
»Wie meinst du das?«
»Mir passieren immer wieder solche Sachen, und jedes Mal wird es schlimmer. Du hast es wirklich nicht leicht mit mir.
Wenn das alles endlich ausgestanden ist, müssen wir ernsthaft miteinander reden.«
»Ja«, antwortete er knapp. »Aber jetzt muss ich erst mal …«
Er rannte nach oben und kam mit einer schickeren Jacke zurück.
»Du siehst toll aus«, sagte ich. » Ich würde dir den Auftrag geben.«
Seine Miene verfinsterte sich. »Du weißt genau, dass ich dich niemals um einen Job bitten würde.«
»So hab ich das doch nicht gemeint«, stammelte ich.
»Ich muss los.«
»Du hast deine Mappe vergessen.«
Charlie sah mich an und zögerte eine Sekunde zu lang. »Er kennt meine Arbeit«, antwortete er. »Ich brauche sie nicht.«
»Na dann viel Glück.«
Er nickte. »Ach, übrigens«, sagte er. »Ich hab dir einen Schlüssel nachmachen lassen.« Er warf ihn auf den Tisch.
»Danke. Aber was, wenn jemand den anderen gestohlen hat?
Dieser Gedanke ist mir kürzlich mal durch den Kopf gegangen.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich weiß auch nicht.«
Nachdem er gegangen war, blieb ich eine ganze Weile wie angewurzelt stehen. Ich versuchte mich an ein Gedicht zu erinnern, das wir in der Schule mal gelesen hatten. Es handelte von einem Paar, das sich ständig gegenseitig anlog. Als es an der Tür klopfte, lächelte ich vor Freude. Charlie. Er hatte es sich anders überlegt. Ich würde ihn umarmen und dann das Gespräch mit ihm führen, das wir nun schon so lange vor uns herschoben.
»Das ging aber schnell –«, sagte ich. Der Rest blieb mir im Hals stecken, denn es war gar nicht Charlie, sondern Dean. Er hielt eine Dose Bier in der Hand.
»Ich hab gewartet, bis dein Alter weg war«, erklärte er, während er an mir vorbei ins Haus trat. »Da kannst du mal sehen, wie rücksichtsvoll ich bin.«
Er nahm einen Schluck aus seiner Dose.
»Ich hab diesmal mein eigenes Bier mitgebracht.« Er musterte mich neugierig. »Bist du schon wieder in eine Schlägerei geraten?«
»Sozusagen.«
Er rieb sich die Nase, als würde sie jucken. Dabei murmelte er etwas, das ich nicht verstand.
»Und?«
»Was, und?«
»Was wollen Sie hier?«
»Du weißt doch, was ich will.«
»Ich war im Krankenhaus«, erklärte ich. »Ich bin erst vor ein paar Minuten zurückgekommen. Außerdem habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich das Geld nicht besitze. Ich kann Vic Norris nichts zahlen.«
»Was soll das heißen, du
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