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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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kannst nicht zahlen?«, fragte Dean in höhnischem Ton. »Diese Hütte hier gehört dir doch, oder nicht?«
    »Das Haus ist mit einer hohen Hypothek belastet. Ich habe kein Geld.«
    Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Bier. »Das ist mir egal«, sagte er. »Ich bin bloß der, den er losschickt, wenn etwas abzuholen ist. Wenn etwas zu erledigen ist, schickt er einen anderen. Ich krieg zwar eine aufs Dach, wenn ich ihm sage, dass du nichts unternommen hast, aber du handelst dir noch viel größeren Ärger ein.«
    »Ich kann nicht …«
    Er ging zum Kaminsims und griff nach einer grünen Glaska-raffe, die wir zur Hochzeit bekommen hatten.
    »Die ist ungefähr hundert Pfund wert«, erklärte ich. »Die können Sie haben.«
    Er ließ sie auf den Boden fallen, wo sie in tausend grüne Scherben zerbarst. »Das reicht nicht.« Er leerte den Rest seines Biers. »Du kannst das Geld bestimmt auftreiben. Jeder treibt Geld auf, wenn er wirklich muss. Und du musst.«
    »Wenn Sie mich bedrohen, rufe ich die Polizei.«
    Dean stellte die leere Dose auf den Couchtisch. Dann machte er fast geistesabwesend, als wäre er allein, den Reißverschluss seiner Hose auf, holte seinen kleinen rosa Pimmel heraus und pinkelte in hohem Bogen auf die Bodendielen, wo sich rasch eine scharf riechende gelbe Pfütze bildete. Mit einer linkischen Hüftbewegung schob er sein Ding zurück in die Hose und zog den Reißverschluss wieder zu.
    »Besorg das Geld«, sagte er. »Wenn du es nächstes Mal nicht hast, siehst du mich nicht wieder. Ich bin bloß der Bote, der nette Junge.« Er ging zur Tür. »Wir werden auch mit deinem Alten darüber reden.« Er grinste. »Danke, dass ich deine Toilette benutzen durfte.«
    Als er draußen war, ging ich erstaunlich ruhig ins Klo, beugte mich über die Schüssel und übergab mich, bis mein Magen völlig leer war. Dann holte ich einen Eimer, einen Putzlappen und eine Rolle Toilettenpapier und kümmerte mich um die Bescherung im Wohnzimmer, die Glasscherben ebenso wie die Pisse. Nachdem auch die letzten Spuren davon beseitigt waren, wischte ich den Boden zweimal mit einem desinfizierenden Reinigungsmittel. Als ich fertig war, betrachtete ich meine Handflächen. Sie sahen aus wie die einer Leiche, die wochen-lang im Wasser gelegen hatte.

    22
    Ich träumte die ganze Nacht wirres Zeug, und die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, als ich aufwachte, waren ebenfalls wirr.
    »Du bist krank«, erklärte Charlie, der neben mich trat, während ich versuchte, mich anzuziehen. Er wollte mich wieder ins Bett verfrachten, aber ich war stärker.
    Ich riss mich los und zog ein Kleidungsstück aus dem Schrank. Es hatte cremefarbene Rüschen am Ausschnitt und an den Ärmeln. Ich war Elizabeth I. Nein, ich war ein Gentleman aus der Tudorzeit. Ich wickelte einen Schal um meinen lädierten Kopf. »Jetzt bin ich eine arme Frau vom Land«, verkündete ich.
    »Eine Kartoffelsammlerin. Nordspanien und Esel, und die Männer sitzen im Schatten und trinken.«
    »Hör zu, Holly«, sagte Charlie. Sein Gesicht war ganz nah an meinem, und sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch. Ich konnte die Äderchen seiner Haut sehen und jedes einzelne winzige Stoppelhaar auf seinem Kinn. Ich konnte seinen Atem riechen. Ich wich zurück. »Du musst jetzt wieder ins Bett gehen«, fuhr er fort. »Ich werde mich um dich kümmern.«
    »Schrei nicht so«, erwiderte ich. »Das fühlt sich an, als würde in meinem Kopf ein Gummiball herumspringen. Auf und ab, hin und her. Ich könnte ein Diagramm von all den seltsamen Winkeln zeichnen. Mit Pfeilen und gepunkteten Linien. Schneiden Sie hier.«
    »Holly, Liebes, es ist noch nicht mal sieben.«
    »Ich muss arbeiten. Ich muss die Hypothek abzahlen. Wenn ich aufhöre, gerät alles aus den Fugen. Alles bricht zusammen.
    Und nur ich kann die Scherben aufsammeln. Nur ich.«

    Ich zog ein Paar Schuhe heraus. Einer schien höher zu sein als der andere. Egal. Ich schob meinen bandagierten Fuß hinein.
    »Du musst auch arbeiten«, sagte ich. »Du musst in die Gänge kommen, Charlie. Dein Leben läuft dir davon, und du bleibst zurück.«
    »Warte einen Moment, dann begleite ich dich. Einverstanden?
    Du kannst nicht allein gehen. Ich ziehe mir was an, wir frühstü-
    cken, und dann gehen wir gemeinsam zur U-Bahn.«
    »Nie wieder«, antwortete ich.
    »Was?«
    »Nie wieder U-Bahn. Nie weder. Alle zusammengepfercht wie Ameisen in einem Ameisenhaufen, wie Ungeziefer unter einem großen Felsblock. Und oben,

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