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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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aber … aber im Moment laufen dort draußen noch Leute herum, die ihr Schaden zufügen wollen.«
    Dr. Thorne musterte mich mit ernster Miene. »Ich behaupte nicht, dass das einfach sein wird. Ich kenne auch andere Patienten, die schreckliche Dinge getan haben. Für sie wurde es erst so richtig schlimm, als es ihnen wieder besser ging, weil ihnen jetzt bewusst wurde, was für einen Schaden sie angerichtet hatten. Ich spreche von Leuten, die nach einer erfolgreichen medikamentösen Therapie erfuhren, dass sie während ihrer Krankheit ihre eigenen Kinder verletzt oder gar getötet hatten.
    Die Welt klar zu sehen kann ein sehr zwiespältiges Vergnügen sein.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber ich bin immer noch nicht viel schlauer.«
    Dr. Thorne gestattete sich ein kleines Lächeln. »Aber ein bisschen besser informiert.«

    29
    Es war, als würde ich mich nun, da Holly nicht mehr da war, in sie verwandeln. Als würde ich versuchen, die Lücke zu füllen, die sie hinterlassen hatte. Ich arbeitete zehn Stunden am Tag und aß mittags nur schnell nebenbei ein Sandwich, eilte abends zu Holly in die Klinik und blieb hinterher noch ziemlich lange mit Todd auf. Obwohl ich immer mindestens neun Stunden Schlaf gebraucht hatte, kam ich plötzlich mit sechs oder noch weniger aus, fühlte mich aber trotzdem kein bisschen müde. Als ich Trish gegenüber eine Bemerkung in diese Richtung fallen ließ, lachte sie.
    »Warum lachst du?«
    »Nein, Meg«, sagte sie auf ihre emphatische Art, die mich immer ein wenig nervös machte. »Glaub mir, du bist überhaupt nicht wie Holly.«
    »Ich weiß, dass ich ihr eigentlich nicht ähnlich bin. Ich wollte damit nur sagen, dass ich mich plötzlich so energiegeladen fühle.«
    »Wenn Holly sich energiegeladen fühlte, war sie wie ein Komet«, meinte Trish. »Oder wie ein Flugzeug kurz vor dem Start. Man konnte sie nicht ignorieren. Selbst wenn sie nur an ihrem Schreibtisch saß und sich nicht bewegte, war es, als würde sie pulsieren und die Luft um sich herum aufwirbeln. Ich spürte es bereits, wenn ich die Tür aufmachte. Meist wusste ich schon nach einer halben Sekunde, ob es ein schrecklicher oder ein wundervoller Tag werden würde. Ich mochte das überhaupt nicht, weil ich keinerlei Kontrolle darüber hatte. Sie war immer diejenige, die das Feld beherrschte, auch wenn es in Wirklichkeit gar nicht so war. Du weißt schon, was ich meine.«
    »Ich glaube schon.«

    »Du bist das genaue Gegenteil von ihr, deswegen seid ihr wahrscheinlich auch so enge Freundinnen. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Du strahlst so viel Ruhe aus.«
    »Das klingt ein bisschen langweilig.«
    »Nein, wir mögen das«, antwortete Trish. »Du gibst uns ein Gefühl von Sicherheit.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Holly ist wie ein Hightech-Jahrmarkt. Du bist wie ein –
    wie ein …« Sie suchte nach dem richtigen Bild, und ich wartete.
    »Ein Haus«, sagte sie schließlich.
    »Ist das gut?«
    »Ja«, antwortete sie entschieden.
    Dann legte sie ihre kleinen, geschickten Hände auf meine Schultern und küsste mich auf beide Wangen. Ich glaube, sie war selbst mindestens genauso überrascht wie ich.

    So hektisch dieser Tag für mich auch war, ich musste die ganze Zeit an Trishs Worte und an Holly denken, genauer gesagt, an Hollys Feinde. An das, was sie mir in so verzweifeltem Ton zugeflüstert hatte, und an die Worte von Dr. Thorne. Bald würde sie aus dem Krankenhaus entlassen werden, und ich wollte nicht, dass sie in eine feindliche Welt kam. Ich war mir nicht so ganz sicher, was Dr. Thorne und seine Vogelnester betraf, aber ich verstand, dass Holly sich manchmal selbst hasste und sich deswegen eine Welt geschaffen hatte, in der ihr viele Leute nur Schlechtes wünschten. Ich hatte schon oft erlebt, wie sie das anstellte. Sie bemühte sich nach Kräften, alle dazu zu bringen, sie fallen zu lassen. Sogar mich hatte sie schon fast so weit gehabt. Ich würde zwar nie in der Lage sein nachzuvollziehen, was Holly durchgemacht hatte, aber ich hatte zumindest eine vage Vorstellung von der Hölle, durch die sie gegangen war.
    Laut Trish gab ich den Leuten ein Gefühl von Sicherheit. Das war nicht viel. Ich glaube, ich wäre lieber mit einem Jahrmarkt verglichen worden als mit einem Haus. Ich hätte es vorgezogen, so aufregend, sexy, glamourös, gefährlich, eigenwillig, verletz-lich, liebenswert, provozierend und kühn zu sein wie Holly, aber ich war nun mal, wie ich war. Und Holly vertraute mir. Mir hatte sie einen

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