Der Feind meines Vaters - Roman
auflösen und nochmal machen. Dieses Muster ist nämlich sehr schwer, weißt du. Gefallen dir die Farben? Oder findest du sie zu grell? Da du sonst immer Dunkelgrün trägst, dachte ich …«
»Das liegt daran, dass Mutter mir aus Vaters alten Umhängen Hosen und Mäntel näht, aber diese Farben sind wunderschön, wirklich.«
»Freut mich.« Doña Elena schob mir das andere Päckchen zu. »Mal sehen, ob das andere Geschenk dir auch so gut gefällt.«
Robert Louis Stevenson, las ich, Die Schatzinsel . Es war ein neues Buch, dünner als die, die ich mir aus dem Obstkistenregal ausgeliehen hatte. Es hatte keine bunte Illustration auf dem Umschlag, aber viele, zwischen den Seiten verteilte Schwarzweißzeichnungen.
»Ja«, Doña Elena schien meine Gedanken gelesen zu haben, »ich weiß, dass du die Nase voll von Schiffen und Inseln hast, aber die Protagonisten in diesem Buch sind ganz anders als bei Jules Verne, ich bin sicher, dass es dir gefallen wird. Du kannst unmöglich die Abenteuerromane aufgeben, ohne dieses gelesen zu haben, Nino. Danach kannst du mit den Episodios weitermachen, keine Sorge …«
»Ich wollte, dass wir dir ein anderes Buch kaufen, denn in diesem gibt es keine Mädchen und auch keine Liebesgeschichte, aber«, und damit warf sie mir ein boshaftes Lächeln zu, »da dich das sowieso nicht interessiert …«
Als wir um sechs aufstanden, gab mir Doña Elena zwei Küsse zum Abschied, und obwohl es bereits dunkel und kalt war, erlaubte sie, dass ihre Enkelin mich zum Tor begleitete. Sie lehnte sich gegen einen Flügel, um es zu schließen, steckte die Hände in die Taschen und beobachtete, wie ich mir meinen neuen Schal umband.
»Wie steht er mir?«
»Toll, du siehst sehr gut damit aus.« Plötzlich machte sie einen Schritt auf mich zu und küsste mich auf die Wange. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Nino.«
Bis mir aufging, was passiert war, war sie längst im Haus verschwunden. Ich stand wie angewurzelt da, staunend und selig über einen harmlosen kleinen Kuss, der nichts bedeutete. Aber er war der erste, den ich von einem Mädchen bekam, das nicht meine Schwester war und mich an den erinnerte, um den Paquito Miguels Schwester so oft vergebens angefleht hatte. Elena hatte mich aus freien Stücken geküsst, ohne Verpflichtung, ohne Zwang, und mir wurde bewusst, dass dieser Impuls weniger anstrengend war, als eine Zeitlang zu stricken und sich ständig zu verhauen. Aber für mich hatte der Kuss eine enorme Bedeutung, sodass ich mich erst in Bewegung setzen konnte, als meine Ohren vor Kälte schmerzten. Ich legte mir die Hand auf die Wange, als könnte ich den Kuss so auf meiner Haut lebendig erhalten, und als ich begann, den Hang hinunterzugehen, spürte ich seine Wärme und den Druck dieser Lippen, die der Unterhaltung, die ich letzte Nacht vom Bett aus gehört hatte, einen Sinn verliehen und mich zugleich entschädigten. Wir haben uns geirrt, Mercedes, ich habe mich geirrt, wir hätten Nino niemals zum Hof der Rubias schicken dürfen, aber ich konnte nicht ahnen, dass das geschehen würde, du siehst ja, er wird immer seltsamer, rebellischer, als wäre er ein anderer, schließt sich den ganzen Tag zu Hause ein und liest, geht nicht mehr raus, um mit den anderen Kindern zu spielen … Was sagst du denn da, Antonino? Vater hatte recht, doch Mutter wollte es nicht wahrhaben, natürlich geht er raus, und natürlich spielt er mit den anderen Kindern, aber es ist Januar, ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, und in diesem verfluchten Dorf ist es teuflisch kalt, also hör auf mit dem Unsinn und lass uns in Frieden seinen Geburtstag feiern.
Das taten wir. Sie hatte meine Erklärung, ohne Elena nicht feiern zu wollen, nicht ernst genommen und empfing mich wie jedes Jahr mit heißer Schokolade und geröstetem Brot. Die Gäste kamen fast zur selben Zeit wie ich, Paquito brachte ein Brettspiel mit, auf dessen einer Seite man Mensch ärgere dich nicht und auf der anderen das Gänsespiel spielen konnte, Miguel eine Holzkiste mit Würfeln, einem Becher und Steinen in verschiedenen Größen und Farben, und Alfredo eine fast neue Fahrradpumpe.
»Danke«, sagte ich, weniger verblüfft darüber, dass er überhaupt ein Geschenk mitbrachte, als über dessen Absurdität. »Nicht schlecht, aber ich habe kein Fahrrad.«
»Ich weiß, aber wenn du eins bekommst, brauchst du dir keine Pumpe mehr zu kaufen.«
Am Morgen, ehe ich in die Schule ging, hatte mir Mutter ein Schmetterlingsnetz geschenkt,
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