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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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worüber ich mich sehr freute, weil ich damit Krebse fing und mein altes Netz so kaputt war, dass man es nicht mehr flicken konnte, und einen neuen Ranzen, den ich weniger aufregend fand, aber dringend brauchte, seit der Riemen an dem alten gerissen war und ich ihn an einer Kordel trug. Weitere Geschenke erwartete ich nicht, aber als ich ihr half, die Teller und Tassen von dem kleinen Tisch zu räumen, damit ich Mensch ärgere dich nicht mit meinen Freunden spielen konnte, die Jules Verne nicht gelesen hatten und das Gänsespiel verschmähten, sagte sie, sie hätte noch etwas für mich und zeigte mit den Augen in die Ecke. Ich erkannte ein flaches, in einfaches Papier gewickeltes Päckchen, konnte aber nicht erraten, was sich darin befand, und sie wollte es mir nicht verraten. Später, versprach sie, wenn die Familie unter sich ist … Vater kam bald, während wir uns noch in dem bescheidenen Labyrinth aus farbigen Feldern verfolgten, und quittierte die beruhigend normale Szene mit einem Lächeln, das ich sofort deuten konnte. Er war glücklich, und nach dem Nachtisch wäre er noch glücklicher.
    »Nino!« Trotz allem ließ ich mich von seiner Begeisterung anstecken. »Sieh mal, wie viel du gewachsen bist! Unglaublich. Mercedes, bring das Zentimetermaß, das muss ich festhalten, mal sehen, wie viel … Eins sechsundvierzig, nicht zu fassen, dieses Jahr bist du mehr als doppelt so viel gewachsen wie in den beiden letzten Jahren zusammen, und dabei bist du erst elf.«
    In Wahrheit war ich eins vierundvierzigeinhalb. Das kleine Blech am Ende des Zentimetermaßes, das meine Mutter beim Nähen benutzte, unterschlug fünfzehn Millimeter, die mir Vater, mit dem Fuß darauftretend, unbewusst schenkte, aber ich wollte ihn nicht berichtigen, weil er mich an den Schultern packte, mich umarmte und mit mir zurück ins Haus trat, als hätten wir uns vor Weihnachten nie gestritten. Ich dachte auch keine Sekunde an seine letzte Warnung. Ich konnte an gar nichts mehr denken, seit Mutter mir das letzte Geschenk mit einer feierlichen Geste und einem Lächeln überreicht hatte, das viel zu breit für ihren Mund war.
    »Hier. Herzlichen Glückwunsch, mein Sohn.«
    »Die Lehranstalt für Schreibmaschinenunterricht und Sekretärausbildung Morales bestätigt hiermit, dass Don Antonino Pérez Ríos den Kurs für Stenographie und Schreibmaschine erfolgreich bestanden hat, und erteilt ihm zum Nachweis dieses Diplom, Jaén, den 2. November 1948.« Das enthielt das Päckchen, mein Diplom in einem billigen Rahmen mit schmalen goldenen Rändern. Nachdem ich den Text gelesen hatte, sah ich auf meine Schuhe, an die Decke, auf den Boden, die Tür, durch die ich nicht aus meinem eigenen Haus flüchten konnte, und schließlich auf sie, die vor Glück strahlte, sodass ich mich meiner Beschämung schämte, aber ich konnte nicht anders.
    »Aber Mutter …« Mehr brachte ich nicht heraus, doch sie umarmte mich so heftig, dass sie um ein Haar den Rahmen zerbrochen hätte.
    »Es gefällt dir doch, oder? Du kannst stolz auf dich sein, mein Sohn, ich bin es jedenfalls. Weißt du, dass du der erste bist, Nino?« Als sie sich von mir löste, hatte sie feuchte Augen, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Der erste in der ganzen Familie, der deines Vaters und meiner auch, der erste, der ein Diplom macht.«
    »Aber Mutter«, wiederholte ich, während meine Scham in ein maßloses Schuldgefühl umschlug. »Wo sollen wir damit hin?«
    »Na, wir hängen es an irgendeiner Wand auf, am besten gleich hier, damit jeder es sieht.«
    »Na, wunderbar.« Endlich mischte sich Vater ein. »Damit der Leutnant es sieht und ich dumm dastehe. Das kann doch nicht dein Ernst sein, Mercedes …«
    »Dann eben im Kinderzimmer.«
    »Nein. Er wird es nirgendwo aufhängen, kapierst du das nicht?«
    »Warum habe ich dann das Geld ausgegeben, wenn wir es jetzt im Schrank verstecken?«
    »Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«
    Ich hörte mir das alles stumm an, mehr oder weniger verwirrt. Scham und Schuld vermischten sich mit komplizierteren Gefühlen, denn Vater hatte recht, und für mich wäre es besser gewesen, wenn er sich mit seiner Vernunft durchsetzte, aber Mutter war kurz davor, in Tränen auszubrechen, diesmal aus Kummer. Ihre Enttäuschung erschien mir so grausam, so ungerecht, dass ich andererseits bereit gewesen wäre, dieses erbärmliche Diplom wie ein Banner hochzuhalten und damit durch die Straßen zu laufen. Vielleicht deshalb, aber auch, weil ich

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