Der Feind meines Vaters - Roman
befördert werde, wenn überhaupt, und wir sind arm, Nino, das weißt du ja. Mit dem, was ich verdiene, kommen wir gerade so über die Runden, und wir haben immer mehr Ausgaben. Deine Mutter glaubt, sie sei wieder schwanger. Wir wollten es euch eigentlich erst sagen, wenn wir sicher sind, aber …« Sie, die die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte, ohne den Mund aufzumachen, rückte ihren Stuhl näher an ihn heran und ergriff stumm seine Hand. »Tatsache ist, dass wir uns zuerst deine Schreibmaschinenstunden und danach deine Französischstunden vom Mund abgespart haben … Du wirst sie aufgeben müssen, Nino.«
»Tu mir das nicht an, Vater.«
Ich hatte ihn gehört, aber die Tragweite seiner Worte noch nicht begriffen, hatte keine Zeit gehabt, mir das Ausmaß der Katastrophe zu vergegenwärtigen. Elena, ihre Großmutter, die Bücher, die Freiheit, nach Belieben zur Kreuzung zu gehen oder den Berg hinaufzusteigen und wieder hinunterzukommen, und eine grenzenlose neutrale Zukunft, ohne die Farbe irgendeiner Uniform – all das löste sich vor meinen Augen in Luft auf. Noch hatte ich keine Zeit gehabt, es zu erfassen, es einzuschätzen, zu analysieren, und dennoch brauchte ich nicht einmal eine Sekunde, um zu verstehen, dass es das Schlimmste war, was er mir an diesem Abend hätte sagen können.
»Das kannst du mir nicht antun.« Und ich suchte in Mutter eine unsichere Verbündete. »Sag du es ihm, Mutter, du bist doch so stolz auf mich, sag ihm, dass er mir das nicht antun kann, dass …«
Doch sie wollte sich nicht auf meine Seite schlagen. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, mein Sohn.«
»Vater.« Ich wandte mich wieder an ihn. »Bitte, ich kann weniger Stunden in der Woche nehmen, mir nach der Schule eine Arbeit suchen, ich kann …«
»Ich hätte es gern, Nino«, sagte er genauso ernst und lächelte, obwohl er keinen Hehl daraus machte, dass meine Worte ihm wehtaten. »Ich hätte sehr gern, dass du Französisch und Englisch lernst, auf die Universität gehst, um die Welt reist, alle Bücher liest, die je geschrieben wurden. Nichts würde ich mir mehr wünschen, wirklich, aber es geht nicht. Ich kann für dich nicht mehr ausgeben als für deine Schwestern, denn wenn Dulce in fünf oder sechs Jahren heiraten möchte … was soll ihr dann sagen? Dass für deine vielen Stunden Geld da war, ich ihr aber für ihre Aussteuer nicht einmal eine Pesete geben kann? Das wäre doch nicht gerecht, oder? Und so lange müssen wir gar nicht warten. Am 26. März heiratet Marisol Don Justinos Sohn. Der Leutnant hat uns den Bärendienst erwiesen, uns zur Hochzeit einzuladen, deine Mutter wird sich Stoff für ein neues Kleid kaufen müssen, und wir brauchen ein Geschenk und … Du musst es verstehen, Nino, ich weiß, dass es nicht leicht ist, aber … ich bin in deinem Alter nicht einmal mehr in die Schule gegangen, so ist es nun einmal, und man kann nichts machen. Den Februar haben wir bereits bezahlt, für März können wir das Geld gerade noch aufbringen, aber im April … im April stecken wir bis zum Hals in Schulden. Sag es Doña Elena. Sag ihr, es täte mir sehr leid, aber dass du die Stunden im April vorerst aufgeben musst. Und mit der Zeit sehen wir weiter.«
Ich nickte, rieb mir die Augen und sah ihn an. Ich hätte gern geglaubt, dass er mich belog, dass er wieder grundlos böse auf mich war und mich vor dem schlechten Einfluss des Hofes bewahren wollte, damit ich wieder der von früher wurde, als ich noch keine Bücher las und den ganzen Tag mit Paquito Fußball spielte. Ich hätte es gern geglaubt, aber ich konnte nicht, ich konnte ihm nicht misstrauen, mich nicht damit trösten, dass er mich belog und aus einer Laune heraus ungerecht zu mir war, um ruhiger weiterzuleben, keine Gerüchte hören zu müssen, die ihm nicht gefielen, nicht um mich und sich selbst bangen zu müssen. Das wäre besser gewesen, dann wären nicht die Lichter auf einen Schlag ausgegangen, hätten sich nicht alle Türen auf einmal geschlossen. Ich wäre wütend gewesen, aber nicht besiegt, nicht verzweifelt, nicht gerührt von dem Ausdruck eines Mannes in olivgrüner Uniform, der weniger Möglichkeiten gehabt hatte als ich und mir die einzige Wahrheit sagte, die er mir sagen konnte, die einzige, die mich sogar des letzten Trostes – der Wut – beraubte und mich mit einer seltsamen Zärtlichkeit erfüllte, einem unbeholfenen, ungewollten Mitleid, mit mir und ihm und Mutter, Mitleid mit ihren Eltern, mit ihren Töchtern, mit dem Bruder, der
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