Der Feind meines Vaters - Roman
sich deutlich von dem Zuhause, das sie sich mit den kleinbürgerlichen Familien in der Kaserne teilen musste. Sie erzählte gern, dass sie nur deshalb nicht in ein komfortableres Haus außerhalb der Kaserne zögen, weil die Dienstordnung es nicht zuließ, doch das stimmte nicht. Wäre ihr Anteil an dem Vermögen, das ihre Mutter vor den gierigen Klauen des Ehemannes hatte retten können, ausreichend gewesen, hätte sie keine Sekunde gezögert, mit ihren Töchtern umzuziehen und den Leutnant in der Kaserne zurückzulassen, denn in Wahrheit musste nur er sich an die Bestimmungen halten, die sie als Vorwand anführte. Daher lebten ihre Töchter zu ihrem Verdruss wie die Kinder der übrigen Guardia-Civil-Beamten in der Kaserne, obwohl sie doppelt so viel Platz und sogar ein Dienstmädchen hatten. Doña Concha hatte Áurea mit in die Ehe gebracht, genauso wie die Essecke aus Mahagoni, eine Schmuckgarnitur aus Korallen und zwei bestickte Umschlagtücher aus Seide, die zusammengenommen das einzige auf der Welt waren, das Mutter dazu brachte, vor Neid zu erblassen. Mit Ausnahme von Áurea, denn sie war bereits sehr alt. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie bettlägerig würde und der Pflege ihrer Herrschaften bedurfte. Noch aber hatte Michelins Frau es nicht nötig, einzukaufen oder Wäsche zu waschen wie die anderen Frauen der Guardia-Civil-Beamten.
»Irgendwann stirbt uns die Arme noch in der Waschküche weg«, sagte Mutter, wenn Áurea mit einem Waschtrog voller nasser Wäsche, der so schwer war, dass sie nicht wusste, auf welche Hüfte sie ihn stützen sollte, die Treppen hinaufstieg. »Und die drei anderen rühren sich nicht vom Fleck. Die Mutter wedelt mit ihrem Fächer herum und die Töchter, noch keine zwanzig, mit …«
Sie sagte nie, womit die Töchter herumwedelten, aber ich konnte es mir denken, obwohl ich so gut wie nichts über das Leben der beiden Mediamujeres wusste. Nur dass sie sich das Haar mit Kamillentee wuschen, in dem vergeblichen Versuch, es wieder so aufzuhellen wie damals, als sie noch klein und wirklich blond gewesen waren. Heute hatten sie kastanienbraunes Haar und verstiegen sich ständig in irgendwelchen Vorhaben, die ihrer Meinung nach nur deshalb nicht von Erfolg gekrönt waren, weil sie in diesem trostlosen Provinznest leben mussten. So war es ihnen gelungen, unzählige nutzlose Gegenstände in der Wohnung anzusammeln, ein Klavier, eine Harfe, eine Schaufensterpuppe, ein Klöppelkissen, eine Nähmaschine, Bilderrahmen in allen Größen, eine Sammlung von Partituren, Bücher voller Schnittmuster und französische Literatur, die niemand lesen konnte. Doch ihr Hauptanliegen war es, eine bessere Partie zu machen als ihre Mutter, die sich mit einem Leutnant hatte begnügen müssen.
Deshalb schickte Doña Concha sie jeden Sommer nach Málaga zu ihrer älteren Schwester, die als einzige Zeit genug gehabt hatte, um in die richtigen Kreise einzuheiraten. Dort hatte Sonsoles am Anfang viel mehr Glück als Marisol und am Ende doch viel weniger, denn als der Jurastudent, den sie sich beim ersten Besuch geangelt hatte, ihr einige Jahre später per Brief den Laufpass gab, hatte Áurea bereits begonnen, ihre Wäsche mit hübschen Initialen aus weißem Garn zu besticken, die sie anschließend mit spitzer Nadel und viel Vorsicht wieder auflösen musste, ohne verhindern zu können, dass Spuren in Form winziger Einstiche sichtbar blieben. Die Narben in Sonsoles’ Seele dagegen waren tiefer und langlebiger. Angesichts der tristen Miene ihrer Schwester hatte Marisol den Teil der Lektion, der sie betraf, sehr schnell gelernt, und hinter dem Rücken ihrer Mutter sah sie sich das ganze Jahr über um, statt auf den Sommer in Málaga zu warten.
»Hör mal, Nino …« Obwohl ich gesehen hatte, wie sie von ihrem Teil der Arkade quer durch den Hof auf unseren Teil zukam, erwischte sie mich völlig unvorbereitet, denn ich konnte mich nicht entsinnen, dass sie mich jemals angesprochen hätte, und erst recht nicht mit Namen. »Der Kerl, der in die Mühle gezogen ist, Pepe heißt er, nicht? Ich habe gehört, dass ihr beide dicke Freunde seid.«
»Ja«, erwiderte ich stolz. »Stimmt.«
»Soso. Er soll eine tiefe Narbe an der Seite haben, weil er ein Kriegsheld ist, stimmt das?«
»Hm … weiß ich nicht.«
Ich hatte diese Narbe oft gesehen und wusste, dass er im Krieg fast daran gestorben wäre, aber das wollte ich nicht laut ausposaunen, denn jedes Mal, wenn ich versuchte herauszufinden, wo er im April 1939
Weitere Kostenlose Bücher