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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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rannte Vater gegen die stumme Skepsis seiner Frau an. »Er hat uns im August in die Falle gelockt. Er und nur er, ich habe ihn an dem Haar wiedererkannt, das ihm in die Stirn fällt.«
    Im November hatte seine Hartnäckigkeit eine andere Bedeutung, mag sein, dass Mutter ihm deshalb nicht mehr so laut widersprach. Cencerro war von den Toten auferstanden, und seit dem Überfall auf den Bürgermeister von Alcaudete war nur noch das von Bedeutung. In den Bergen war die Disziplin nicht dieselbe wie in der Kaserne, die Anführer gingen ihren Männern voran. Obwohl es sich die Kollegen meines Vaters alle gern erspart hätten, einen Fehler zuzugeben, indem sie ihm recht gaben, kamen sie schließlich zu dem Schluss, dass er möglicherweise doch auf der richtigen Spur war. Wenn Regalito derjenige war, der sie im Sommer hinters Licht geführt hatte, dann musste er auch derjenige sein, der sie jetzt im Winter herausforderte. Ich wartete darauf, dass sich irgendwann jemand fragte, welche Rolle der Portugiese bei alldem gespielt hatte. Doch manche Namen haben von Anfang an mehr Gewicht als deren Träger, und das Prestige des alten Cencerro, des echten Cencerro, sprach für Pepe und gegen meine Befürchtungen. Wenn sie acht Jahre gebraucht hatten, um mit dem ersten fertigzuwerden, würden sie es beim zweiten auch nicht leicht haben. Die Lastwagen waren leer wieder abgefahren, die in den Bergen hatten mehr als genug Geld, um zu überwintern, die Tage wurden immer kürzer, und das Eis bildete jeden Morgen eine unsichtbare Wand, die nicht einmal die Mittagssonne zum Schmelzen bringen konnte. Bis die Sonne wieder an Kraft gewann, würde die Pattsituation fortbestehen. So war es früher gewesen, und so wäre es auch jetzt, denn die Welt stand kopf, und bislang wusste niemand, wie man sie wieder auf die Füße stellen konnte.
    So endete das Jahr 1947. Mit einem schwierigen Frieden, der sich nur zögernd stabilisierte. So begann 1948. Die Weihnachtsferien gingen zu Ende, und ich wurde endlich zehn. An diesem Tag machte Mutter heiße Schokolade und geröstetes Brot, und ich durfte am Nachmittag meine Freunde einladen. Dafür feierte an unserem gemeinsamen Namenstag nur mein Vater. Miguel schenkte mir Buntstifte, Paquito einen Kreisel und Alfredo, Izquierdos Sohn, erklärte, er würde mir mein Geschenk später noch bringen, was er aber nie tat. Vater sagte später, ich solle es ihm nicht übelnehmen, sie seien so viele zu Hause und könnten es sich nicht leisten, Geschenke für die Freunde von allen zu kaufen. Der Portugiese kam erst, als wir bereits draußen waren und mit meinem neuen Fußball spielten. Er war nicht aus Leder, das waren sie nie, aber in diesem Jahr sah er fast so aus, weil die schwarzen Vielecken so geschickt auf das Gummi gemalt waren. Er brachte mir zwei Geschenke, seine alte Angelrute und ein neues Buch, Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer , obendrein in Zellophan verpackt.
    »Ich habe es neulich in Martos gekauft«, sagte er zufrieden, als ich ihn umarmte, nachdem ich das Geschenk ausgepackt und den Riesenkraken gesehen hatte, der die Nautilus erstickte. Deren Kapitän Nemo war mir bereits ein alter Freund. »Ich glaube … Na ja, man hat mir erzählt, es wäre sein bestes Buch. Und da es nun dir gehört, kannst du es behalten und so oft lesen wie du willst.«
    »Er hat doch noch nicht mal das erste fertig«, mischte sich Vater überrascht ein und bewegte den Kopf auf eine Weise, die ich nicht deuten konnte. Nach dem Abendessen forderte er mich auf, mit ihm nach draußen zu gehen.
    »Wo wollen wir denn hin?«, fragte ich, um davon abzulenken, dass ich es bereits ahnte, weil ich gesehen hatte, dass Mutter uns wortlos folgte.
    »Hier ist es gut«, antwortete er und stellte mich an den Pfosten gegenüber der Tür. »Beweg dich nicht, ich will dich messen … Sehr gut.«
    Bevor er das Taschenmesser herausholte, schloss ich die Augen und sagte wie jedes Jahr am 14. Januar in der Zeit, die er brauchte, um eine Kerbe ins Holz zu schlagen, hastig und stumm alle Gebete auf, die ich kannte. Vergebens. Ich wusste es und er auch, aber als er mich beiseiteschob, machte er wie im Jahr zuvor große Augen, als hätte ihn der Abstand zwischen den letzten Kerben schwer beeindruckt.
    »Sieh mal, wie viel du gewachsen bist, Nino!«, sagte er mit einem Lächeln, das die Sorge darüber, mein Vater zu sein, nicht ganz verdrängen konnte.
    Doch es stimmte nicht. Ich war nur ganz wenig gewachsen, wie immer. Ich war immer noch klein, sehr

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