Der Feind meines Vaters - Roman
klein, ein Knirps, wie mich meine Freunde und meine Cousins in Almería nannten. An diesem Tag war das alles. Er wartete noch eine Woche, um dann mit heiterer, zufriedener Stimme, die aber auch vor Heuchelei zitterte, beim Abendessen zu erklären, er habe lange über mich nachgedacht, und da ich so gern las, sei er auf die Idee gekommen, dass ich nichts Besseres tun könne, als Schreibmaschine zu lernen.
»Du wirst doch nicht ein gewöhnlicher Guardia-Civil-Beamter werden wollen wie dein Vater, nicht wahr? Du bist so klug. Wenn du Schreibmaschine schreiben kannst und noch ein paar andere Dinge lernst, bringst du es vielleicht sogar zu einer Anstellung in der Verwaltung, glaub mir.« Er sah mich von der Seite an, und ich versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, brachte aber kein Wort heraus. »Was ist, hast du etwa deine Zunge verschluckt? Nun sag schon: Was hältst du von meiner Idee?«
»Sehr gut, Vater.« So viel zu den Rennwagen, dem Haus in den Bergen, den Tricks der Junggesellen. »Ich finde, es ist eine sehr gute Idee.«
Er lächelte mir zu. Er war so glücklich, dass ich nicht einmal die Leichtigkeit bereute, mit der ich mich geopfert hatte.
»Das glaube ich auch. Es könnte dein ganzes Leben verändern.«
Darin hatte er recht, obgleich er es noch nicht wusste.
Und ich auch nicht.
II. TEIL
1948
Wenn Marisol von sich sprach, nannte sie immer ihren vollständigen Namen, Marisol Rodríguez Peñalva, obwohl man sie im Dorf nur als Mediamujer, die halbe Frau, kannte. Den Spitznamen hatte Cuelloduro ihr an einem dieser dämlichen Nachmittage verpasst, an denen er vor seiner Bar saß und sich die Zeit mit Boshaftigkeiten vertrieb. Die Trägheit pflegte seine Phantasie zu beflügeln, doch in jenem Augenblick, als Marisol und ihre Schwester die Straße entlangkamen, übertraf er sich selbst. Sehr steif, eng aneinandergeschmiegt und untergehakt, versuchten die Frauen auf den hochhackigen Schuhen mehr schlecht als recht ihre Schritte zu beschleunigen. Sie waren für die flachen Gehsteige der Stadt gedacht, nicht für den Schotter auf den Straßen meines Dorfes, wo niemand sonst solche Schuhe trug. Ihr taumelnder Gang wirkte eher gefährlich als elegant. Ich selbst habe sie nie gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass sie wie auf Eiern gingen, wahrscheinlich in cremefarbenen, blassrosa oder hellblauen Kleidern und feinen Strickjäckchen mit Perlmuttknöpfen, lose über die Schultern gelegt, einer Kette aus winzigen Perlen um den Hals und noch mehr Perlen an den Ohren, mit erhobenem Kopf, den Blick nach vorne gerichtet, um dem Feind keine Angriffsfläche zu bieten. Doch dieses Mal brauchte er die gar nicht, um einen Volltreffer zu landen.
»Ah, zwei halbe Frauen! Zusammen ergäben sie ein Prachtweib.«
Wenn sie ihren Spitznamen hörte, kniff Marisol die Augen so stark zusammen, als hätte jemand vor ihrer Nase eine Zitrone ausgepresst, und spie, jede Silbe einzeln betonend, ihre beiden Nachnamen aus, Ro-drí-guez-Pe-ñal-va, ich heiße Ma-ri-sol-Ro-drí-guez-Pe-ñal-va. Trotzdem nannten wir alle sie Mediamujer, denn in Fuensanta de Martos hatte noch niemand ein Gegenmittel für treffende Spitznamen erfunden, und dieser war mehr als das, er passte wie die Faust aufs Auge.
Die Señoritas Rodríguez Peñalva, Sonsoles und Marisol, deren Vornamen aus dem Verzeichnis der Heiligen entnommen waren, damit sie sich von den vielen, immer gleichen Namen anderer Frauen unterschieden, lagen nur elf Monate auseinander, waren aber so verschieden, dass sie kaum wie Schwestern aussahen. Die Ältere war groß, hatte ein hässliches Gesicht und war schlank, besaß aber üppige Brüste und Hüften, sodass sie, wenn sie sich zurechtmachte, aussah wie eine Schaufensterpuppe. Die Jüngere und Hübschere ähnelte ihrem Vater, dem Vorgesetzten meines Vaters. Von ihm hatte sie die untersetzte, eher stämmige Figur; bis zur Taille war sie schlank und flach, aber von da ab ging sie in die Breite. Das hatte Cuelloduro sehr treffend auf den Punkt gebracht, denn Sonsoles’ Körper mit dem Gesicht von Marisol hätte tatsächlich eine perfekte Frau ergeben. Doch da sie nun mal zwei waren, mussten sie sich mit ihrer jeweiligen Hälfte und dem entsprechenden Spitznamen abfinden.
Doña Concha la Michelina war die fünfte Tochter einer bürgerlichen Familie aus Málaga, die wegen der maßlosen Schwäche des Vaters für die grünen Spieltische der Kasinos verarmt war. Der Ort, wo die Frau des Leutnants aufgewachsen war, unterschied
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