Der Feind meines Vaters - Roman
intelligent, und wir kommen schnell voran.«
Vom Schalter am Eingang aus musste er das Klappern meiner ungeschickten, langsamen Finger wahrgenommen haben, das sich anhörte wie die Schießübungen eines Einarmigen, doch er erwiderte Sonsoles’ Lächeln und ging wieder, ohne ein Wort. Vater konnte lesen und schreiben, hatte aber die Schule nur kurz besuchen können und pflegte deshalb eine übertriebene Ehrfurcht vor jeder Art von Wissen, das man sich nur aus Büchern aneignen kann; eine Bewunderung, die aus seinem Minderwertigkeitsgefühl rührte und der Angst, in ein Fettnäpfchen zu treten. Diese Ehrfurcht hätte ihn daran gehindert, die Unfähigkeit meiner Lehrerin zu bemerken, selbst wenn ich ihn darauf aufmerksam gemacht hätte. Aber so etwas hätte ich nie getan, denn Vaters Naivität ging mir weniger zu Herzen als die stumpfe Melancholie dieses hässlichen Entleins, das die Nachmittage damit verbrachte, mit halb geschlossenen, von einem fremden Glück erleuchteten Augen in langen verheißungsvollen Klagen und Seufzern zu vergehen.
»Was liest du da?«, fragte ich manchmal, wenn ich sah, wie sie das Buch mit beiden Händen an die Brust presste, als würde ihr Herz platzen, als ertrüge es kein weiteres Gramm Rührung mehr.
»Einen Roman.«
»Ja, aber wovon handelt er?«
»Er ist so schön, einfach himmlisch, die Geschichte einer jungen Witwe, die den Lebensunterhalt für sich und ihren kleinen Sohn mit Englischunterricht verdient. Eines Tages engagiert ein Millionär sie, damit sie sich als Frau seines todkranken Sohnes ausgibt … Na ja, jedenfalls geht sie ins Ausland und verliebt sich in den Vater, und natürlich vergehen beide vor Sehnsucht. Da der Sohn bald sterben wird und er sie für seine Frau hält, können sie ihre Gefühle füreinander nicht offen zeigen. Hach, es ist hinreißend!«
Alle ihre Romane waren so schön, einfach himmlisch, und alle gingen glücklich aus, mit einer Liebeshochzeit und viel Geld, so wie die, der ihre Schwester Marisol entgegensah, obwohl die Heldinnen in den Anfangskapiteln immer ein erbärmliches Dasein als Blumenverkäuferinnen, Schneiderinnen oder Hauslehrerinnen fristeten, bis sie dem Eigentümer eines großen internationalen Vermögens begegneten, eleganten, weltoffenen Männern, die wenig Ähnlichkeit mit dem Sohn eines Großgrundbesitzers wie Don Justino hatten. Doch das war meine Meinung, nicht die von Sonsoles, die jetzt nicht mehr in Kleidern mit Wespentaille, Glockenrock und unmöglichen hochhackigen Schuhen mit ihrer Schwester spazieren gehen konnte. Da Marisol versprochen war, schickte es sich nicht, dass sie sich zu oft auf der Straße zeigte, und allein ausgehen schickte sich auch nicht, sodass die arme Mediamujer während der Nachmittage in der Kaserne gefangen war, Groschenromane verschlang und das Mitgefühl eines zehnjährigen Jungen weckte, der viel längere, anspruchsvollere und in ihren wahnsinnigen Phantasien glaubwürdigere Bücher las als die in Zuckerwatte gehüllten Liebesromane, in denen anständige, wohlhabende Männer schöne arme Mädchen heirateten, glücklich wurden und Rebhühner aßen, eines Lesers von Jules Verne, der immer schneller sinnlose Wörter auf die Tastatur hackte, qwer und poiu, asdf und mnbv, ohne zu wissen, warum oder wozu.
Trotzdem lasen wir beide aus ähnlichen Gründen. Sie Liebesromane, um mit einer übertriebenen, fast physischen Vorstellungskraft ein Glück vorwegzunehmen, das sie vielleicht niemals erleben würde. Ich Geschichten über Schiffbrüchige und Stürme, Chroniken von Ungeheuern und Leichen, Geschichten über makellose, honorige Helden und üble, hinterhältige Söldner, Erinnerungen weiser oder durch eigene Schuld in tröstender Misanthropie gefangener Männer, um das elende Dasein in der Kaserne von Fuensanta de Martos ertragen zu können. Die Toten auf dem Papier sind harmlos, ihr Todeskampf und die Erinnerung an sie von kurzer Dauer, und in den Büchern, die mir der Portugiese besorgte, waren ihre Namen obendrein fremd, so seltsam, dass sie falsch klangen. Die Toten auf dem Papier hinterließen weder Witwen noch Waisenkinder, die länger als zwei Zeilen weinten. Deshalb mochte ich diese Bücher, und deshalb hätte ich Sonsoles nie verpetzen und Vater die Wahrheit erzählen können. So, in der Komplizenschaft einer zum Scheitern verurteilten Flucht vereint, ein jeder seiner eigenen Mutlosigkeit überlassen, gelangten wir zu einem sonnigen Nachmittag im März, als Sanchís plötzlich in eine dieser
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