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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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widerlegte, was ich bislang über Sanchís zu wissen glaubte, alles, was ich erfahren und woran ich mich erinnern konnte, auch wenn es genauso wirklich war wie diese unerwartete kleine Entdeckung. Als ich im Wachbüro ankam, stand die Tür der Zelle offen. Romero erzählte mir, der Leutnant habe Filo freigelassen, und ich fragte mich, was das bloß für ein Mensch war, der am selben Tag zwei Frauen so unterschiedlich behandeln konnte, doch so sehr ich in meiner Erinnerung suchte, in den Figuren der Bücher, die ich gelesen, in Filmen, die ich gesehen, oder Geschichten, die man mir erzählt hatte, ich fand keine Lösung für dieses Rätsel, und am nächsten Tag wurde diese Ungeheuerlichkeit, die zum ersten Mal nicht schmerzte, nicht blutete und nichts entstellte, sondern ein seltsamer, geheimnisvoller Ausdruck von Schönheit war, von den kleinen Alltäglichkeiten verdrängt.
    Dieses Geschenk des Himmels, das ich zu sehen bekommen, dieses Privileg, das mir das Schicksal aus einer Laune heraus gewährt hatte, vertiefte die Abneigung, die Sanchís mir entgegenbrachte, seit ich in der Nacht gegen die Wand geschlagen und sein Treiben unterbrochen hatte. Bis dahin hatte er mich schief angesehen, danach aber, als könnte er eher verzeihen, dass ich Zeuge seiner Grausamkeit geworden war, als dass ich in eine sonderbare Intimität eingedrungen war, die sonst allen verwehrt war, würdigte er mich keines Blickes mehr. Obwohl ich niemandem davon erzählt hatte, weil ich dafür nicht einmal die richtigen Worte gefunden hätte, versuchte ich, ihm aus dem Weg zu gehen, während mein Leben seinen gewohnten Gang nahm, Schule, Freunde, Maschinenschreiben mit Sonsoles und die Freundschaft mit dem Portugiesen. Pastoras Fußnägel zu vergessen fiel mir nicht so leicht. Und womöglich wäre es mir gar nicht gelungen, hätte der Frühling meinem Leben nicht ein wirklich großes Ereignis beschert, fast so groß wie die Dinge, die sonst nur den anderen widerfahren.
    »Hör mal, Pepe …«
    Ende März war die illegale Presse immer noch in Betrieb, obwohl kein neues Flugblatt gedruckt worden war, sondern nur ein einfacher Zettel, allerdings in solchen Mengen, dass sogar Miguel einen zu fassen bekommen hatte. Die Guardia Civil wusste nicht mehr, wo sie noch suchen sollte, und deshalb konnte mir Pepe endlich eine Stelle im Fluss zeigen, wo es so viele Krebse gab, dass man nur ein Schmetterlingsnetz ins Wasser tauchen musste, um es bis zum Rand mit Krebsen gefüllt wieder herauszuziehen.
    »Ja?«
    Wir warfen sie in einen Korb mit einem Deckel und trugen sie in die Mühle. Er kochte sie in Salzwasser mit einer Zwiebel, einem Lorbeerblatt und ein paar Pfefferkörnern, und dann aßen wir sie sofort auf, zuerst den Kopf, danach den Schwanz mit dem festen, warmen Fleisch – köstlich.
    »Wenn du verrückt nach einer Frau wärst, aber wirklich verrückt, so über beide Ohren verknallt wie in den Filmen …« Erst als ich das Bedürfnis verspürte, diese Frage laut zu stellen, fing ich an, ihren Inhalt zu verstehen. Er achtete nur auf den Topfdeckel, damit uns kein Krebs entkam, und nickte, ohne mich anzusehen. »Würdest du ihr die Fußnägel lackieren?«
    »Ich?« Ein Glück, dass das Wasser bereits kochte, denn er drehte sich mit dem Kochlöffel in der Hand um und sah mich mit großen Augen an. »Was redest du für einen Unsinn? Wie käme ich dazu? Ich bin doch nicht schwul!«
    »Ich weiß.« Ich hatte keine andere Antwort erwartet, trotzdem war ich nachdenklich. »Glaubst du denn, nur Schwule würden so etwas tun?«
    »Na klar. Mensch, Nino, du kommst vielleicht auf Sachen …«
    Er täuschte sich. Ich wusste, dass er diesmal ausnahmsweise auf dem Holzweg war, trotzdem verstand ich nicht, wie Sanchís so verliebt in Pastora sein konnte, dass er die Nägel an ihrem verkrüppelten Fuß lackieren und gleichzeitig Spaß daran haben konnte, anderen Frauen Gewalt anzudrohen. Wenn ich es recht verstanden hatte, war der Pinsel, den Sanchís in der Hand hielt, so etwas wie die Gewähr für seine bedingungslose Liebe, seine Art, Pastora zu sagen, dass ihr Makel ihm egal war und dass er sie trotz dieses und anderer Makel liebte. Aber vielleicht hatte ich es nicht richtig verstanden, vielleicht hatte ich gar nichts verstanden. Möglicherweise hatte Mutter recht, und er war einfach nur seltsam, ein finsterer Kerl, der sonderbare Dinge tat. Das passte eher zu dem, was ich über ihn wusste, zu seinem Stil, seinen Vorlieben, der Art, wie er beim Lächeln den Mund

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