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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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verzog. Und weil ich überzeugt war, dass er nicht schwul war, sagte ich nichts und vermied das Thema, während wir uns den Bauch mit Krebsen vollschlugen.
    »Heute haben wir aber über die Stränge geschlagen, was?« Als wir nicht mehr konnten, waren in der Schüssel noch fast genauso viele Krebse wie wir gegessen hatten. »Warte, ich gebe sie dir für deine Mutter mit. Ich habe mich dermaßen vollgestopft, dass ich bestimmt eine Woche lang keine Krebse mehr sehen kann.«
    Das verstand ich gut, denn ich spürte die Wirkung unserer Völlerei genauso wie er. Es war ein zwiespältiges Gefühl, halb Übelkeit, halb Seligkeit, doch als er die restlichen Krebse in einen Henkelmann aus Aluminium schüttete, setzte er etwas hinzu, das ich nicht begriff.
    »Bring ihn mir aber übermorgen mit, wenn du zur Kreuzung kommst, ja? Ich habe nur diesen, und er kommt mir sehr gelegen, wenn ich es zum Essen nicht nach Hause schaffe.«
    »Zur Kreuzung?«, fragte ich. »Und was machen wir …«
    Als ich sein Gesicht sah, verzichtete ich auf das Ende einer Frage, die er sowieso nicht beantworten würde.
    »Hat dir dein Vater nichts gesagt?«
    »Was denn?«
    »Nichts, nichts, besser, du erfährst es von ihm.«
    Auf dem Rückweg begegnete ich Sanchís. Als er mich sah, wurde er wütend und meinte, den Weg hätte er sich sparen können, wenn der blöde Portugiese mir nur den Honig, den er bei ihm bestellt hatte, mitgegeben hätte. Abgesehen von dem blöden hatte er recht, doch ich sagte weder ja noch nein, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, was ich in zwei Tagen mit Pepe an der Kreuzung zu schaffen hätte, da, wo die Landstraße einen sehr alten Pfad kreuzte, den Don Eusebio, und nur er, die römische Straße nannte.
    Jene Straße, die nur zu ein paar verstreuten Gehöften am Fuß der Berge führte, bildete die unausgesprochene Grenze zwischen dem Herrschaftsgebiet der Berge und dem des Tals und war ein gefährliches Pflaster. Dorthin zu gehen, war mir selbstredend untersagt. Vielleicht sollte mich deshalb der Portugiese begleiten, nur wusste ich nicht, wohin. Doch je weiter ich den Hang hinunterlief, umso mehr wichen meine anfänglichen Sorgen jenem verheißungsvollen Optimismus der famosen jungen Männer, die mit unbekanntem Ziel zum außergewöhnlichsten Abenteuer ihres Lebens aufbrachen, während ich sie in meinem engen Bett Seite um Seite um die beschwerliche Schiffsreise beneidete. Man bekam eine Gänsehaut beim Lesen, und nicht einmal sie selbst konnten glauben, was sie erlebt hatten, wenn sie in die angenehme Sicherheit ihres Zuhauses zurückkehrten.
    Und so, als käme das Meer nach Fuensanta de Martos, traf ich an jenem Nachmittag in der Kaserne ein.

Im Hof der Rubias lebten sechs Frauen und drei Kinder.
    Catalina war groß und kräftig; ihre Statur deutete auf ein Gewicht hin, das sie schon lange nicht mehr besaß. Sie hatte neun Kinder zur Welt gebracht; das jüngste war gestorben, noch ehe es erwachsen war. Im Dorf erzählte man sich, dass sie als junge Frau sehr hübsch gewesen sei, viel hübscher als ihre Töchter. Man ahnte es, wenn man ihr kantiges Gesicht mit der eleganten Nase und den Mandelaugen sah. Sie versanken in den Falten der rauhen, pergamentartigen Haut, die von der Zeit und der Gleichgültigkeit, mit der sie alles um sich herum betrachtete, gezeichnet war. Dieser Ausdruck von Verachtung, aus dem häufiger Arroganz denn Erschöpfung gesprochen hatten, machte sie älter als das zerzauste weiße Haar vermuten ließ. Sie band es zu einem Knoten, der jeden Tag anders aussah und bei ihren Wutausbrüchen, die sie blitzartig von Kopf bis Fuß durchfuhren, wie ein missratenes Knäuel einfach auseinanderfiel. Catalina hatte einen schlechten Charakter, und wenn sie sich aufregte, kam ihr wahres Alter zum Vorschein, knapp fünfzig, und sie erinnerte an eine Hexe aus dem Märchenbuch.
    Ihre Tochter Paula, die mittlere, war ihr am ähnlichsten, mürrisch, verschwiegen und ständig mit sich selbst beschäftigt, sehr stolz, fast überheblich. Sie hatte als einzige von ihrer Mutter die Gabe geerbt, ihrer Wut freien Lauf zu lassen, aber ihre Ausbrüche waren kürzer. Catalina, die älteste, genannt Chica, war ausgeglichener, manchmal beinahe süß, vielleicht weil sie so viel Zeit mit ihrem Freund verbrachte. Er kam aus der Hauptstadt und arbeitete in Martos, unter Bedingungen, die sich deutlich von dem bedrückenden Ambiente des Hofs unterschieden, wo man mit der ganzen Welt auf Kriegsfuß stand. Am

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