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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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augenfälligsten zeigte sich das an Filomena, obwohl ihre Wut reiner, aufrichtiger und letzten Endes unschuldiger war, möglicherweise, weil sie weniger eine Reaktion war auf Dinge, die sie selbst erlebt, sondern die man ihr erzählt hatte.
    »Mir hat das Leben übel mitgespielt.«
    Das sagte Catalina zu ihrer Rechtfertigung, und es stimmte, obwohl es in Fuensanta Leute gab, denen es noch schlimmer ergangen war. Ihr Ältester war einer der letzten, die im Krieg gefallen waren, ihr Mann einer der ersten, die nach dem Krieg an die Wand gestellt wurden, und als wäre das nicht genug, war ihr Sohn Nicolás, der zehn Jahre genauso gesund gewesen war wie seine Geschwister, unter Fieberkrämpfen in ihren Armen gestorben, noch ehe der April 1939 zu Ende ging. Sie war mit ihm von Tür zu Tür gelaufen und hatte um Hilfe gebettelt, die ihr niemand gewähren wollte. Im Laufe von fünfzig Tagen hatte Catalina eine Tragödie erlebt wie andere im ganzen Leben nicht, und diese fünfzig Tage hatten sie innerlich wie äußerlich zerstört, ja versteinert. Sie war nicht mehr die Alte. Sie konnte die Häuser nicht vergessen, die sich dem Todeskampf ihres Sohnes versperrt hatten, Türen, die sich weder dem Leiden eines Kindes noch der Verzweiflung einer Mutter geöffnet hatten, und niemals, nicht einen Augenblick in ihrem Leben würde sie vergessen, wie Nicolás auf der Straße gestorben war, als sie zusammenbrach und nicht mehr wusste, was sie noch tun sollte, wohin sie noch gehen sollte, wen sie noch um Hilfe bitten konnte, nachdem sie alles versucht hatte: den Arzt, den Apotheker, den Bürgermeister, den Pfarrer, den Tierarzt. Sie hatte auf dem Dorfplatz gesessen und Nicolás gewiegt wie damals, als er noch ein Baby war, hatte ihm vorgesungen und ihn liebkost, mit ihm und um ihn geweint, bis ihre Töchter sie fanden und ihr den schon erkalteten Leichnam des toten Bruders abnahmen, den sie immer noch in den Armen hielt. Sie liebkoste ihn, sang ihm vor und wollte niemals aufhören, um ihn zu weinen.
    Es gab kein Pardon. Das lernte sie an jenem Tag, kein Pardon. In Fuensanta de Martos, in der Sierra Sur, in der Provinz Jaén, in Andalusien, in ganz Spanien gab es für eine Frau wie sie weder Pardon noch Hoffnung, noch eine Zukunft. Doch es blieben ihr drei Töchter und vier Söhne, die in der ganzen Welt verstreut waren, einer in Mexiko, ein anderer in Algerien und zwei weitere, jüngere, in Frankreich, wohin sie geflüchtet waren, nachdem sie lange Zeit in den Bergen verbracht hatten.
    »Meinen Francisco haben sie letztes Jahr im April hier herausgeholt und Anselmo im Juli, eine Woche vor der Sache in Valdepeñas.« Und dann, aber erst dann lächelte sie. »Die kriegen sie nicht mehr, nein, Señor.«
    Nie sagte sie, wer sie herausgebracht hatte, aber gelegentlich erhielt sie über dieselbe unbekannte Person einen Brief von einem ihrer Söhne, von dieser oder der anderen Seite des Meeres. Dann hielt ihre gute Laune einige Tage an, auch wenn sie manchmal den Eindruck machte, als freute sie sich weniger über die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Söhne als über den Sieg, den sie für eine Frau bedeuteten, die ebenfalls kein Pardon kannte. Catalina war nicht bloß eine Rote, sondern entschlossener als je zuvor, mindestens so wie Cuelloduro, wenn nicht noch mehr. Ihr Mann Lucas war ein Roter gewesen, so wie ihr Sohn Blas, den sie verloren hatte, als sein Tod bereits niemandem mehr nutzte. Seine Witwe Manoli, die zu ihrer Schwiegermutter auf den Hof gezogen war, nachdem man sie aus dem Gefängnis in Sevilla entlassen hatte, war eine Rote, so wie ihre beiden Söhne, die so alt waren wie ich, ebenso die Kinder ihres Onkels Bernardo in Mexiko, die Tochter ihres Onkels Lucas in Oran, wie die Kinder, die ihre beiden Onkel in Toulouse vermutlich hatten, alle unverbesserliche Rote, obwohl man ihnen fälschlicherweise den Spitznamen »los Rubios«, die Blonden, gegeben hatte.
    »Und Sie?«, fragte ich Doña Elena, als ich glaubte, genügend Selbstvertrauen zu haben, um sie danach fragen zu können. »Sind Sie auch eine Rote?«
    Sie lachte und schüttelte den Kopf.
    »Selbstverständlich nicht, Nino. Wie kommst du auf so etwas?« Ihr Lachen löste sich in ein zartes, wehmütiges Lächeln auf. »Im Spanien des Caudillo gibt es keine Roten mehr. Oder weißt du das nicht?«
    »Aber Catalina …«
    »Catalina ist eine Patriotin und eine gute Spanierin, römisch-katholisch wie wir alle. Das wäre ja noch schöner!«
    In diesem Moment wusste ich, dass

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