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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Kleiderbürste hatte zupfen müssen, die mittlerweile kahler war als eine Kompanie von Kriegsveteranen. Meine Mutter schimpfte, aber wenn ein Dorffest bevorstand, machte auch sie Gebrauch von diesen Pinselchen, die meine Schwester und ihre Freundinnen aus einem Zahnstocher und einem Stückchen Draht bastelten.
    Für die Dorffeste im September engagierte Don Justino immer dasselbe Orchester aus Jaén, und dessen Sängerin hatte knallrot lackierte Fingernägel. Das war mir aufgefallen, weil Don Bartolomé, der Pfarrer, an diesen Sonntagen die Predigt der Spitzfindigkeit des Teufels widmete: Er ködere unschuldige Mädchen mit falschen Versprechen von Schönheit, die seiner unmaßgeblichen Meinung nach von Schminke und hautengen Kleidern eher geschmälert als gefördert wurde. Alle wussten, dass er auf die Sängerin des Orchesters anspielte, und später sahen wir sie uns ganz genau an, von oben bis unten, aber so sehr wir auch gewarnt waren, nie sahen wir diese Frau, die sich vom Teufel hatte ködern lassen, mit rot lackierten Fußnägeln.
    Rot, ob auf den Lippen, den Nägeln oder in der Kleidung, war die Farbe der Huren. Als im letzten Jahr Eva Perón Spanien besuchte, hatten Mutter und ihre Freundinnen ihre langen dunkel gefärbten Fingernägel betrachtet und gemeint, die Sache sei klar. Doch was hinter dem Vorhang in Sanchís’ Küche geschah, hatte weder mit Sünde, dem Teufel, Bartolomés Predigten noch Eva Peróns Vergangenheit zu tun. Es war etwas anderes und gehörte zu einer anderen, unbekannten Welt; nicht der meinen, in der ich an Pastoras gesundem Fuß, auch wenn sie eine Sandale trug, noch nie irgendeine Farbe gesehen hatte. Hätte mir irgendwer erzählt, dass ein Mann aus meinem Dorf das tat, was Miguel Sanchís gerade vor meinen Augen machte, hätte ich ihn für eine Tunte gehalten. Und hätte mir jemand erzählt, dass eine Frau aus meinem Dorf das mit sich machen ließ, hätte ich sie für eine Hure gehalten. Doch als Sanchís seiner Frau die Fußnägel lackierte, war die Wirkung eine ganz andere, es war im Gegenteil der Ausdruck einer vollkommenen Harmonie voller Zärtlichkeit und Gefühl.
    Er lehnte sich nach hinten, um das Ergebnis seiner Arbeit zu begutachten, und schlug sich aufs Knie, damit sie den anderen Fuß darauflegte. Er war kleiner als der gesunde und erschien umso verunstalteter im Vergleich mit dessen weißer nackter Schönheit. Zwischen den groben Fingern des Mannes wirkte der Pinsel geradezu zerbrechlich, aber er wusste, wie man damit umging, und strich erstaunlich schnell und präzise das Rot auf jeden einzelnen Nagel am Ende der verkrüppelten Zehen. Als er fertig war, nahm er den Fuß in die Hände und küsste den Spann ein, zwei, drei Mal. Pastora lächelte, warf den Kopf in den Nacken und entdeckte mich.
    »Hallo«, sagte ich und kam ihr zuvor.
    Der Feldwebel drehte sich zu mir um. Eine Sekunde lang erblickte ich einen Mann, den ich noch nie gesehen hatte, nicht einmal in der Nacht auf der Kirmes, als er Pastora vor allen Augen küsste. Vielleicht aber hatte ich damals, kurz bevor ihre Münder miteinander verschmolzen, dasselbe engelhafte Gesicht gesehen, das ich bislang nur von den Statuen gekannt hatte, die in der Kirche von Alcalá la Real über dem Altar angebracht waren. Vergleichen konnte ich sie erst, nachdem ich durch den Vorhang getreten war, um den Mann zu entdecken, der so ganz anders war als der, den ich seit jeher kannte, einen fröhlichen, entspannten jungen Mann, heiter und klar wie eine antike Statue aus Fleisch und Blut.
    »Was machst du denn hier?«, hörte ich seine rauhe, vertraute Stimme, und da war er bereits wieder er selbst und doch nicht er selbst; er war er selbst und ein anderer, der von früher, der von immer.
    »Ich wollte Ihnen das Formular …«
    Ich hielt das Blatt hoch, und er schüttelte ärgerlich den Kopf.
    »Bring es zurück ins Wachbüro; meine Güte, bist du blöd … Lass es im Wachbüro, ich werde es morgen unterschreiben.«
    Eine Sekunde lang rührte ich mich nicht von der Stelle, hin- und hergerissen zwischen Vorwurf und Nostalgie, denn weder traute ich mich zu sagen, dass ich nur gekommen war, weil er es so befohlen hatte, noch wollte ich so rasch auf das glühend leuchtende Geheimnis dieser Küche verzichten.
    »Na los, verzieh dich, du Trottel … Worauf wartest du noch?«
    Ich durchquerte langsam den Hof, wie betäubt von der Szene, die ich soeben miterlebt hatte, dieses Wunder, dem ich keinen Namen geben konnte und das alles

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