Der Feind meines Vaters - Roman
auch Doña Elena eine Rote war, obwohl sie ansonsten wenig Ähnlichkeit mit den Frauen des Hofes hatte.
Erstens stammte sie nicht aus Andalusien. Sie war in Salamanca zur Welt gekommen, wo ihr Vater, der aus Asturien stammte, Physiologieprofessor an der dortigen Universität gewesen war. Während sie für das Lehramt studierte, hatte sie einen Assistenten ihres Vaters kennengelernt, einen jungen Mann aus Sevilla, der ihr so gut gefiel, dass sie sich verlobten und später, als er eine Stelle in Carmona bekam, heirateten. Dort hatte sie als Lehrerin gearbeitet, zuerst bevor sie Mutter wurde, und anschließend, viel später, als ihre Töchter schon erwachsen waren. Die Älteste wollte kein Abitur machen, im Gegensatz zur Jüngeren, die, als die Kurse 1935/36 begannen, nach Madrid ging, um dort Kunst zu studieren, gegen den Willen ihrer Mutter, aber mit dem Segen ihres Vaters, der eine Schwäche für seine rebellische, moderne Tochter hatte. Sie war so ganz anders als die Ältere, die sich noch vor ihrem zwanzigsten Geburtstag kirchlich hatte trauen lassen. Ihr Mann war ein Vetter zweiten Grades aus dem asturischen Familienzweig, formell, katholisch und so reaktionär, dass er wenige Tage nach der Hochzeit den Kontakt zu seinem Schwiegervater abbrach, nachdem er sich mit ihm ganz fürchterlich über Darwin, die Affen und die Schöpfungsgeschichte gestritten hatte.
Als der Militärputsch Spanien in zwei Hälften spaltete, brachten die wissenschaftlichen Ansichten, die Doña Elenas Mann im Gemeindezentrum ein Leben lang leidenschaftlich vertreten hatte, ihn als Atheisten direkt ins Gefängnis von Carmona, das er erhobenen Hauptes und fast gut gelaunt betrat, denn er war überzeugt, dass der Spuk nur ein paar Tage dauern würde. Sie blieb allein zurück, ohne Kontakt zu ihrer Jüngsten, die ihre Semesterferien in Madrid so sehr genoss, dass sie ihre Rückkehr auf den 1. August verschoben hatte, oder ihrer älteren Tochter, die in Oviedo wohnte, der einzigen Stadt in Asturien, die in die Hände der Aufständischen gefallen und von dem übrigen franquistischen Spanien abgeschnitten war. Als Elena schließlich einen Brief von ihr bekam, der mit der Losung der Faschisten, ¡Arriba, España! , begann, tat es ihr beinahe leid, denn das hieß, dass die Front im Norden tatsächlich gefallen war. Da ging es ihrem Mann noch gut. Er war ein zäher, optimistischer Mensch, der eine wohltuende Gelassenheit auf seine Mitgefangenen ausstrahlte und sie mit allerlei Hausmitteln gesund pflegte, wenn sie krank wurden. Doña Elena stellte sie nach seinen Anweisungen zu Hause her und gab sie jeden Tag am Gefängnistor für ihn ab. So ging es bis zum Kriegsende. An dem Tag, als Madrid fiel, konnte sie ihn nicht besuchen, aber achtundvierzig Stunden später fand sie einen anderen Mann vor als den, den sie gekannt hatte. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft zu lächeln und fragte in einem Ton, der vor lauter Ernst beinahe misstrauisch klang, ob ihr eigentlich klar sei, wie sehr er sie geliebt habe. Zwei Wochen später war er ohne irgendwelche Symptome, ohne ersichtlichen Grund im Morgengrauen gestorben. In der Nacht zuvor, ehe das Licht ausgeschaltet worden war, hatte er zu seinen Zellengenossen gesagt, ich glaube, ich sterbe, und sie hatten sich um ihn versammelt, ihm den Schweiß von der Stirn getupft und Mut zugesprochen, hatten aber nichts mehr für ihn tun können.
Dein Vater ist vor Kummer gestorben, schrieb Doña Elena an ihre ältere Tochter, das klingt wie ein dummer Tod, ist aber der allerschlimmste, und diese antwortete, sie könnten nur hoffen, dass Gott sich in seiner grenzenlosen Güte seiner verirrten, sündigen Seele erbarmte. Die Antwort erschien Elena so grausam, dass sie beschloss, ihrer Tochter nie wieder zu schreiben, aber dann tat sie es doch, weil alle Versuche, ihre jüngere Tochter zu finden, fehlgeschlagen waren und sie glaubte, die Ältere könne eher in der Lage sein, um den einen oder anderen Gefallen zu bitten, und mehr Glück haben. Doch dieses Glück verflüchtigte sich rasch, als sie in einer Fürsorgeanstalt ein zweijähriges Mädchen namens Elena González Manzano fanden, das laut noch nicht umgeschriebener Geburtsurkunde die rechtmäßige Tochter der Eheleute Felipe Ballesteros Sánchez, Artillerist in der IV. Gemischten Brigade, und Marina González Manzano, Kunststudentin und Mitglied der sozialistischen Gewerkschaft UGT, war. Über die Mutter ließ sich nichts in Erfahrung bringen, nur dass das Mädchen von
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