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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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verlassen. Damit konnten nicht viele rechnen, die sich früher oder später von der Führung der Partei, für die sie kämpften und tagtäglich ihr Leben riskierten, im Stich gelassen fühlten, und nach der Nacht, in der sie die Zähne zusammenbissen und auf eigene Faust versuchten, nach Frankreich zu gelangen, ihr Leben nicht mehr für die Partei riskierten. Francisco war anders. Francisco hatte etwas zu sagen, und zwar so viel, dass er auch Anselmos Flucht organisierte. Dieselben Gründe, aus denen sein jüngerer Bruder nun heil und gesund in Toulouse lebte, hatten ihn dazu getrieben zurückzukehren, um in Spanien zu sterben.
    Mit der Zeit würde Catalina die Version des einzigen Rubios, der noch in Frankreich war, übernehmen: Es war Edelmut, nicht Wahn, die Heldentat eines weiteren Sohnes, der für eine gerechte Sache ohne Zukunft gestorben war. Aber am 25. Juni 1948, als ich über den hinteren Weg zum Häuschen von Doña Elena kam und es leer fand, hatte Catalina gerade den ersten Brief bekommen, und auch die sechs Kinder, die ihr noch blieben, konnten den Verlust, den sie erlitten hatte, nicht wettmachen. Ich ahnte nichts und fand auch keinen Hinweis auf das Geschehene. Doña Elena hatte mir am zweiten Tag, an dem ich zu ihr gekommen war, erzählt, dass sie Catalina hin und wieder zum Arzt oder zu den Behörden begleiten musste; in solchen Fällen würde sie versuchen, mir über Pepe rechtzeitig Bescheid zu geben; falls das nicht klappte, solle ich im Thymianstrauch neben den Stufen zu ihrem Hauseingang nachsehen. Ein in den Stengeln befestigtes Taschentuch bedeutete, dass sie etwas zu erledigen und keine Zeit gehabt habe, mir Bescheid zu sagen, dann solle ich nicht warten, sondern am nächsten Tag um dieselbe Zeit wiederkommen. Es war bereits zwei Mal vorgekommen, aber so sehr ich am 25. Juni suchte, ich fand kein Taschentuch. Die Tür war abgeschlossen, aber als ich zu dem großen Haus hinabstieg, sah ich, dass die Fensterläden offen standen. Ich dachte, es wäre am einfachsten, wenn ich kurz nachfragte.
    Seit mich Pepe das erste Mal zum großen Haus gebracht hatte, war ich nicht wieder dort gewesen. Oft waren wir am Nachmittag zusammen hochgekommen, aber ich hatte noch vor dem großen Haus eine Abkürzung genommen, die mich direkt zu Doña Elenas Häuschen brachte, und kehrte allein oder mit dem Portugiesen immer über den hinteren Hang ins Dorf zurück. An diesem Nachmittag jedoch nahm ich den Weg, den Doña Elena mich damals entlanggeführt hatte, nach der Limonade und den Honigpfannkuchen, und gelangte, ohne jemanden zu sehen, zum Haus von Catalina, aus dem ein seltsames Durcheinander klagender Stimmen drang. Der Lärm hätte mich zur Vorsicht mahnen sollen, die mir aber gänzlich abging. Ich hatte nichts Böses im Sinn, ich wollte nur nach meiner Lehrerin fragen, weil ich als Freund von Pepe glaubte, in dem Haus willkommen zu sein. Als ich merkte, dass ich mich getäuscht hatte, war es bereits zu spät.
    Erst beim Eintreten sah ich, was los war. Ich blieb wie angewurzelt auf dem Holzboden stehen, unfähig, die Blicke zu erwidern, die sich plötzlich auf mich richteten. Alles ging sehr schnell, doch ich kann mich nur langsam daran erinnern, als wäre die Zeit in meinem Gedächtnis plötzlich stehengeblieben, um von Detail zu Detail vorzurücken und sich dann in einer flackernden Folge grausamer, rauher Bilder zu überschlagen, wie eine alte, Wind und Wetter ausgesetzte Sammlung von Fotografien.
    Ich erinnere mich an Chicas feuchte Augen, die vom vielen Weinen gerötet waren, und wie sie sich weiteten, als sie meinem Blick begegneten, wie ihr Ausdruck blitzschnell von Verwunderung in Angst und von Angst in Vorsicht umschlug. Ich erinnere mich, dass Chica an der Wand lehnte, auf der Seite, von der ich kam, und dass ich sie deshalb noch vor den anderen sah, aber sie waren alle da. Manoli saß mit Pedrito auf dem Schoß in einem Schaukelstuhl, Paula stand neben der Tür, reglos an den Portugiesen geschmiegt, der sie umarmte, als fürchtete er, sie könnte jeden Moment zusammenbrechen. Catalina saß auf einer Sitzbank aus Korb, dem Mittelpunkt der kleinen Welt dieses Gehöfts. Sie war sehr blass, ihr Kopf ruhte auf der Rückenlehne, die Beine waren gespreizt, die Arme ausgestreckt, die Hände lagen kraftlos auf den Knien, im Schoß ein zerknülltes Blatt Papier. Sie war ganz ruhig, leer, kalt und erschöpft, wie tot. Rechts und links von ihr saßen Doña Elena und Filo, alle hatten feuchte, vom Weinen

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