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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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vor der Schlacht. »Ich fand es toll, wirklich. Mir sind die Tränen gekommen, mehrmals sogar, stellen Sie sich das vor.«
    »Wirklich?« Sie sah mich an und lächelte. »Es ist sehr bewegend, nicht?«
    »Es ist …« Ich hielt inne, um nach den richtigen Worten zu suchen, fand sie aber schnell. »Es ist wie ein Abenteuerroman, aber wirklicher, authentischer. Eine erfundene Geschichte, in der am Ende die Guten verlieren, wäre ein Problem, nicht wahr? Alles wäre verdorben, aber hier … Wenn man weiß, dass die Figuren tatsächlich gelebt haben, in einer wirklichen Stadt, zu einer bestimmten Zeit … Ich weiß nicht, es hat mich tief beeindruckt, auch wenn die Geschichte schlecht ausgeht, mit so vielen Toten. Deshalb habe ich das Buch noch behalten und wollte fragen, ob Sie etwas dagegen hätten, wenn ich auch Cádiz lese.«
    »Natürlich habe ich nichts dagegen! Und danach solltest du auch Zaragoza lesen, wenn du willst, das ist tatsächlich ein Abenteuerroman. Augustina, die mutige Kämpferin, an der Kanone.« Sie lachte, als fände sie ihre eigenen Worte lustig. »Was für Frauen, mein Gott! Man sieht, dass er sie auch im richtigen Leben kämpferisch mochte …«
    »Wer?«
    »Don Benito natürlich.« Sie machte sich nicht einmal die Mühe, seine Nachnamen zu nennen, so als würde sie jeden Nachmittag Kaffee mit ihm trinken. »Wer sonst?«
    Deshalb fand ich den Mut, mit Don Eusebio zu diskutieren, als er mir das Zeugnis gab. Ich war mir meines Rechts so sicher, dass ich nicht bemerkte, wie sich ein Wutanfall anbahnte.
    »Sehr gut?« Er ließ die Brille auf die Nasenspitze gleiten, warf mir einen ungläubigen, zornigen Blick zu und ballte mit starr an den Beinen ausgestreckten Armen die Fäuste. »Sie meinen also, Sie hätten die Prüfung sehr gut bestanden?«
    »Ja«, erwiderte ich herausfordernd.
    »Du solltest mir dankbar sein, du Holzkopf! Mit dem Examen hätte ich dich durchfallen lassen müssen, was ich beinahe getan hätte. So viele Dummheiten über den 2. Mai 1808 auf einen Schlag sind mir noch nie untergekommen. Das Volk in Waffen, die Motive der Anhänger Napoleons, Jovellanos Patriotismus, die Französische Revolution … Hatte ich denn nach der Französischen Revolution gefragt?«
    »Nein. Aber Galdós zeigt sehr gut, dass die Politik Napoleons …«
    »Galdós?« Als er diesen Namen hörte, war er so überrascht, dass er einen Augenblick sogar vergaß, wie wütend er auf mich war. »Habe ich dich etwa aufgefordert, Galdós zu lesen?«
    »Nein, aber ich habe es trotzdem getan.«
    »Nun, das war sehr dumm von dir, hörst du?« Sogleich gewann er die vorherige Wut zurück, die seiner augenblicklichen Haltung entsprach. »Sehr dumm.«
    »Ich wüsste nicht, warum, und ich glaube nicht …«
    »Weil ich es sage! Galdós, Napoleon, die Cortes von Cádiz, die Verfassung von 1812: All das habe ich nicht mit euch durchgenommen, danach habe ich nicht gefragt …«
    Plötzlich verstummte er, zitternd vor Wut. Er wusste nicht, wie er weitermachen sollte, und ich wollte ihn nicht unterbrechen, weil ich ihn noch nie so wütend erlebt und auch ich selbst noch nie so viel Grund gehabt hatte, wütend auf ihn zu sein. Und dennoch, als er vor mir stand, mit seiner Weste und seinem Überrock, schwitzend unter der unbarmherzigen Junisonne, als hätte er Fieber, mit glühenden Augen, die Fäuste geballt und die Lippen vor Empörung zitternd, kam er mir vor wie ein jämmerlicher Wicht, ein armseliger, aufgeblasener Dummkopf.
    »Ich habe keine Ahnung, woher Sie diesen Unsinn haben, aber Sie können froh sein, dass ich Ihre Prüfung zerrissen habe. Nächstes Mal stecke ich sie in die Schublade, um später mit dem Schulrat darüber zu reden. Lassen Sie sich das eine Warnung sein.«
    Damit ich mir ein richtiges Bild von meinem Lehrer machen konnte, erzählte mir Doña Elena am selben Nachmittag die Sache mit Severinos Hose und Regalitos Abschlussprüfung.
    »Wenn mutige Menschen Angst haben, bedeutet es, dass sie sich einer Gefahr bewusst sind«, setzte sie hinzu. »Bei feigen Menschen aber ist die Angst viel mehr als Mangel an Mut. Angst schließt Würde, Großzügigkeit und den Sinn für Gerechtigkeit aus, und sie kann sogar die Intelligenz beeinträchtigen, weil sie die Wahrnehmung der Realität trübt und die Schatten länger macht. Feige Menschen können vor sich selbst Angst haben, und genau das ist bei Don Eusebio der Fall. Er ist kein schlechter Mensch. Er ist gebildet, freundlich und respektvoll, solange er kein Risiko

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