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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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außerhalb von mir in die Tiefe stürzte. Meine Augen waren geschlossen, meine Lider fest zusammengepresst, als würden sie sich nie wieder öffnen, und trotzdem spürte ich die Hitze, ein Feuer ohne Flamme, ein schreckliches, mineralisches Feuer, das an mir leckte, mich bis auf die Knochen versengte, als wollte es mich gänzlich verschlingen. Ich verstehe dich nicht, Catalina, und sehr fern, am kalten Ufer jenes Abgrunds, der der Hölle so ähnlich war, hörte ich Doña Elenas Stimme: Ich verstehe nicht, wie du so brutal und grausam sein kannst. Und die Stimme rief mich, obwohl sie nicht mit mir sprach, er ist doch noch ein Kind, siehst du das nicht? Sie versetzte mich in eine Realität zurück, aus der ich mich nie fortbewegt hatte. Ein Kind, ja, er tut mir leid! Fuensanta de Martos 1948, ein Ort, an dem ich Catalinas sorgfältige Aussprache deutlich hörte, ich hatte neun Kinder, ist dir das klar? Ich hatte keine Wahl mehr, keinen Ausweg, keine Tür, keine Lücke, durch die ich der Wahrheit entkommen konnte, ich habe neun Kinder großgezogen, ich sah, wie meine Söhne heranwuchsen und Männer wurden, das ist die ganze Wahrheit und nicht nur der Teil, der uns behagt, und weißt du, wozu? Das erste, was ich sah, als ich die Augen wieder aufschlug, war Blas, dicht neben mir. Er keuchte. Damit dann Hurensöhne wie der Vater dieses Jungen ihn töten. Catalina zischte jedes S, also komm mir jetzt nicht damit, dass er nur ein Kind ist, als schärfte der Hass ihre Zunge, er ist der Sohn eines Mörders, und wenn er erwachsen ist, wird er wie sein Vater ein Mörder sein. Ich verstehe nicht, wie du das fertigbringst, Catalina. Doña Elenas Stimme war heiserer, gedämpfter, fast düster: Merkst du es denn nicht, du bist genauso ungerecht und grausam wie sie. Und dann hörte ich meine eigene Stimme, und ihr Klang erstaunte mich so, als hätte ich nicht damit gerechnet, sie je wieder zu hören: Mein Vater ist kein Mörder! Als glaubte ich, sie auf meiner phantastischen Reise in die Tiefe für immer verloren zu haben. Ach nein? Dann frag mal Carmela, na los. Catalina sprach mit mir. Frag sie, wer sie zur Witwe gemacht hat. Ich hob den Kopf, um sie anzusehen: Mein Vater ist kein Mörder, und ich wiederholte es schreiend, er ist kein Mörder, er ist kein Mörder, er ist kein Mörder! Bis mich Blas mit einem Faustschlag zu Boden warf. Ist er wohl! Obgleich er älter und größer war als ich, stand ich sofort auf, rammte ihm meinen Kopf in die Brust, sodass es richtig wehtat. Ist er nicht! Er schlug mich ins Gesicht, ich schlug zurück, und dann ging ein Stärkerer dazwischen. Genug jetzt! Der Portugiese versuchte, mich zurückzuhalten, doch ich rannte weg. Nino! Ich rannte und rannte, haltlos, ohne mich umzusehen. Nino, warte! Ich rannte bis zur Kreuzung und danach immer weiter, weil ich nichts anderes tun konnte als laufen und laufen, bis ich unter der Last der Wahrheit erschöpft zusammenbrach. Die Wahrheit war schneller als ich, stärker als ich und hatte mich bereits eingeholt.
    »Was ist passiert, Nino?« Als Mutter die Schrammen in meinem Gesicht, die Kratzer auf den Beinen und das zerknitterte Hemd sah, erschrak sie. »Was hast du gemacht?«
    »Nichts«, antwortete ich, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Ich bin den Berg hinuntergelaufen und gestürzt.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Und der Unterricht? Es ist doch noch nicht mal halb sechs.«
    »Doña Elena war nicht da. Wahrscheinlich hatte sie zu tun.«
    Sie nahm es mir nicht ab. Ich spürte es, als sie schweigend meine Wunden verarztete. Danach sagte ich, ich wollte ins Bett, ohne zu Abend zu essen, ich hätte Bauchweh. Sie sah mich an und nickte, und in ihren Augen las ich, dass sie alles wusste. Ohne zu ahnen, was mir an diesem Nachmittag widerfahren war, verstand sie, was ich herausgefunden hatte: Es gab kein Pardon.
    Für einen Jungen wie mich würde es in Fuensanta de Martos kein Pardon geben, nicht in der Sierra Sur, nicht in der Provinz Jaén, nicht in Andalusien und nicht in ganz Spanien. Weder Erbarmen noch eine Zukunft.

Der Fluss erschien mir lahmer und trüber, die Bäume verstaubt wie alte Holzscheite und die Sonnenstrahlen, die durch die Zweige drangen und Lichtflecken auf das Wasser warfen, wie ein billiger, alter Trick.
    »Sollen wir uns hier hinsetzen?« Der Portugiese sah mich an, und ich zuckte nur die Achseln; es war mir egal. Alles war mir egal, und ich hatte nicht einmal Lust, den Mund aufzumachen, um es zu sagen, doch als er sich hinsetzte, nahm ich

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