Der feine Unterschied
Fremdeln vorbei. Jetzt wird frei von der Leber geredet, meistens über Fußball. Einer nach dem anderen kommt zu mir und will wissen, wie es beim FC Bayern so zugeht.
Die Saison 2003/04 beginnt am 3. August, wir spielen auswärts gegen Hansa Rostock. Ich stehe im Kader, aber nicht in der Startaufstellung. Auf meiner Position, der des rechten Verteidigers, ist Andreas Hinkel gesetzt. Er spielt souverän, was ich von der Bank mit gemischten Gefühlen beobachte. Klar, ich will, dass die Mannschaft gewinnt. Aber ich will auch meinen Teil zum Gewinnen beitragen.
Zu meinem Bundesligadebüt für den VfB komme ich dann wegen einem Paar Schienbeinschützern. Zu Beginn der zweiten Halbzeit schickt der Trainer einen ganzen Schwarm Spieler zum Aufwärmen, auch mich, und gegen Mitte der Halbzeit gehen wir durch ein Tor von Imre Szabics 1:0 in Führung. Jetzt will der Trainer den Vorsprung absichern. Er holt Silvio Meißner vom Feld, aber der Spieler, der ihn eigentlich ersetzen soll, hat seine Schienbeinschützer noch nicht richtig in den Stutzen und trottet dem Trainer zu langsam Richtung Ersatzbank.
Also sagt Magath: »Nein, du nicht« und zeigt stattdessen auf mich.
Ich bin fertig. Silvio hat mir schon vor dem Spiel gesagt, dass ein Einsatz blitzartig kommen kann und dass ich besser meine Schienbeinschützer in den Stutzen habe, sobald ich mich auf die Bank setze. Danke für den Tipp, Silvio.
Der Platzsprecher meldet Vollzug: »Aus dem Spiel geht die Nummer 7, Silvio Meißner. Für ihn kommt mit der Nummer 21, Philipp Lahm.«
Hört sich gut an. Ich spiele links im Mittelfeld, nicht unbedingt meine Position, aber dann läuft sofort eine gute Aktion über meine Seite, ich erobere den Ball vom Gegner, spiele ihn weiter, schneller Angriff, und Imre Szabics macht sein zweites Tor, 2:0, jetzt lassen wir den Gegner nicht mehr kommen, und dann ist das Spiel auch schon vorbei. Alle sind zufrieden, nur der Kollege mit den Schienbeinschützern hat an seinem verpassten Einsatz zu knabbern.
In den nächsten Spielen habe ich immer wieder kurze Einsätze, meistens rechts im Mittelfeld vor Andreas Hinkel. Bei einer Partie im Ligapokal verletzt sich Timo Wenzel, der links hinten gespielt hat, und der Trainer fragt: »Philipp, kannst du auch linker Verteidiger spielen?«
Ich zögere keine Sekunde und sage: »Kein Problem.«
Das ist gewagt, denn ich habe in all den Jahren als Fußballer noch nie auf dieser Position gespielt. Aber hätte ich sagen sollen, das mache ich nicht? Hätte ich die Chance auf einen Einsatz willkürlich vergeben sollen? Ich spiele also eine Halbzeit linker Verteidiger, nicht brillant, aber ganz ordentlich.
Zwei Spieltage später stehe ich als linker Verteidiger in der Startaufstellung gegen Borussia Dortmund. Was ich noch nicht weiß: von nun an werde ich fünf Jahre lang auf dieser Position spielen.
Der VfB hat eine starke Mannschaft. Felix Magath weiß, wie er ein Team zusammenstellen muss. Kompakte Abwehr, Aljak-sandr Hleb als fantastischer Individualist und viele Junge, die sich für die Mannschaft die Seele rausrennen: solche wie ich.
Parallel zur Meisterschaft beginnt die Champions League. Wir spielen in einer starken Gruppe mit Manchester United, den Glasgow Rangers und Panathinaikos Athen. Bei der Auf-taktniederlage in Glasgow hatte ich noch nicht gespielt, aber als das Heimspiel gegen Manchester United vor der Tür steht, habe ich schon meine ersten beiden Spiele in der Startformation hinter mir.
Aber Bundesliga und Champions League, das sind zwei Paar Schuhe. Manchester United kommt mit allen Stars, Scholes und Giggs im Mittelfeld, Rio Ferdinand in der Verteidigung, Cristiano Ronaldo und Ruud van Nistelrooy im Sturm. Ich bin nicht sicher, ob der Trainer sich traut, mich gegen den besten Sturm Europas auflaufen zu lassen.
Aber im Training läuft es gut. Gegen 1860 in München habe ich anständig gespielt und sogar ein Tor vorbereitet. Das Feedback, das ich kriege, ist ermunternd — ein paar Scherze in der Kabine, die Anerkennung durchklingen lassen, bedeuten mehr für mich als eine gute Note in den Medien. Ich habe schnell begriffen, dass das Lesen der Sportseiten mehr Energie kostet, als du zurückbekommst, deshalb kümmere ich mich nicht darum. Das Wichtigste kriegst du sowieso mit.
Die Kollegen wissen jetzt, was ich draufhabe. Der Trainer hat gesehen, dass ich auch auf Bundesliganiveau gut mithalten kann. Ich denke, dass mein Ziel, Stammspieler in der Bundesliga zu werden, in greifbare Nähe
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