Der feine Unterschied
gerückt ist.
Es ist der Tag vor dem Spiel gegen Manchester United, und Felix Magath hat mir noch nicht persönlich gesagt, ob ich in der Mannschaft stehen werde. Aber er lässt mir ausrichten, dass ich mich für die Pressekonferenz bereit machen soll. Super. Denn zur Pressekonferenz geht nur, wer morgen auch spielt.
Die Reporter wollen wissen, ob ich Angst vor dem Killerduo Ronaldo und van Nistelrooy habe. Ich bin zu nervös, um mit etwas anderem als einer Floskel zu antworten. »Respekt ja«, sage ich, »Angst nein.«
Am Spieltag scheint Stuttgart zu vibrieren. Die Luft ist elektrisch. Unser Spiel gegen United ist in der ganzen Stadt das erste Gesprächsthema, das Gottlieb-Daimler-Stadion ist so was von ausverkauft, dass der schwäbische Kassenwart angesichts der vielen Karten, die er noch zusätzlich hätte verkaufen können, in Tränen ausbricht. Es ist viele Jahre her, seit ein Spiel in der höchsten, der aufregendsten Spielklasse in Stuttgart stattgefunden hat, und unser Gegner ist einer der großen Favoriten auf den Titel. United. Gleich werde ich den legendären Alex Ferguson Kaugummi kauend auf der Bank sitzen sehen. Bisher kannte ich ihn und sein Team nur aus dem Fernsehen.
Wir wärmen uns auf, und die Nervosität, die mir in den Knochen steckt, verwandelt sich in eine warme, belebende Entschlossenheit. Ich bin 19, habe erst ein paar komplette Bundesligaspiele hinter mir, aber ich fühle mich angesichts der Aufgabe, die auf mich zukommt, nicht überfordert. Ich erinnere mich an meine Wortmeldung bei der Pressekonferenz und muss schmunzeln. Meine Floskel vom Respekt entpuppt sich gerade als die pure Wahrheit. Ich habe Respekt, aber dieser Respekt schwächt mich nicht, sondern schießt belebend in meine Adern ein, ich bin wach, ich bin konzentriert, ich freue mich auf das, was jetzt kommt. In meinem Kopf tauchen Bilder auf, Bilder von gewonnenen Zweikämpfen, von Spielsituationen, wie ich sie schon erlebt habe, aber auch Bilder von problematischen Situationen und wie ich sie löse. Ein Bild nimmt Gestalt an, ein Stürmer, der mit Tempo auf mich zukommt, und ich weiß instinktiv, wie ich ihm den Ball abnehme. Ich rufe das Bild ab: zwei Angreifer sind vor mir, und wieder gibt mir der prompte Hinfall, was zu tun ist, Sicherheit.
Ais wir aufs Spielfeld laufen, dröhnt die Hymne der Champions League aus den Lautsprechern. 50.000 Zuschauer verwandeln Emotionen in Lärm und Rhythmus. Freude, dass heute dieses Fest stattfindet. Ungewissheit, was uns erwartet. Erwartung an Spieler, deren Namen Synonyme für großartigen Fußball sind, für Dynamik, Technik und Unterhaltung.
Man sagt, dass ein Spieler auf dem Spielfeld gar nicht wahrnimmt, was um ihn herum stattfindet. Bei mir stimmt das nicht. Ich nehme alles wahr. Ich sehe, wie hell das Licht ist, das von den Flutlichtmasten über den Platz strömt. Ich höre das Kufen und Pfeifen einzelner Menschen. Mein Geist ist so klar, dass ich viel mehr wahrnehme, als wenn ich bloß als Zuschauer auf der Tribüne sitze. Jeder Chor, jeder Ruf, jeder Pfiff gehört jetzt mir.
Es kann losgehen.
Ich spiele links in der Verteidigung, mein direkter Gegner ist Cristiano Ronaldo. Cristiano ist noch jünger als ich, ein Wunderkind aus Portugal. Was er am Ball kann, ist erstaunlich, dazu verfügt er über einen harten, platzierten Schuss. Er tauscht immer wieder Position mit van Nistelrooy, der in der vorangehenden Saison Torschützenkönig in der Premier League gewesen ist.
Erster Ballkontakt, der Ball tut, was er soll. Es ist, als würde die Ausnahmesituation auf den Tribünen das Spiel verdichten und beschleunigen. Der Gegner ist schneller, steht besser, ist aufmerksamer als alle Mannschaften, gegen die ich bis jetzt gespielt habe - was keine Überraschung für einen Spieler sein kann, der vor ein paar Monaten noch in der Regionalliga am Werk war. Aber wir halten mit. Wir sind beseelt von einer rauschhaften Leidenschaft. Jede gelungene Aktion findet ihr Echo im Publikum. Sobald wir uns dem Tor der Engländer nähern, nimmt die Elektrizität zu. Wenn wir uns ihren Angriffen in den Weg stellen und ihre Ideen vorausahnen und unterbinden, strömt Sicherheit in jeden Einzelnen von uns.
Das Spiel ist nicht besonders gut, aber höllisch intensiv. Ich habe weder mit Ronaldo noch mit van Nistelrooy ein Problem, ich finde sogar Zeit, mich in Angriffe einzuschalten. Nach zwanzig Minuten schnappe ich mir an der Mittellinie nach einer Kopfballkerze den Ball, lasse einen Gegenspieler
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