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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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aussteigen und habe plötzlich Platz, gehe allein Richtung Tor, überspiele auch noch einen Verteidiger, aber der holt mich drei, vier Meter außerhalb des Strafraums mit einer Grätsche von den Beinen. Der Freistoß bringt nichts ein, aber mein Herz schlägt bis zum Hals. Es ist möglich, denke ich mir, wir können das packen, auch gegen die.
    0:0 zur Halbzeit. Der Trainer heizt uns zusätzlich auf. »Die wackeln«, sagt er. »Da geht heute was.«
    Und es geht was. Nach einem Eckball gleich nach der Pause muss Scholes auf der Linie retten. Drei Minuten später erwische ich einen Kopfball an der Mittellinie, der Ball springt weit in die Hälfte der Engländer, Imre Sabiczs startet am schnellsten, lässt Ferdinand stehen, nimmt den Ball mit und macht cool das 1:0.
    Ein Schrei, und dann diese unvergleichliche Erleichterung, wenn ein Ball im Tor liegt. Imre rennt jubelnd zur linken Eck-
    fahne, und ich sprinte nach, muss unbedingt auf den Haufen der Spieler in den weißen Trikots hinaufspringen, der sich dort auf dem Rasen wälzt.
    Es ist — schon wieder eine Floskel — Gänsehautstimmung pur. Natürlich hat keiner von uns eine Gänsehaut, aber der Moment, in dem so ein Tor gelingt, hat aller Dynamik zum Trotz etwas Feierliches, Pathetisches. Es ist der Moment, in dem du weißt, warum du Fußball spielst. Warum du schon in der Jugend sechs Mal pro Woche auf dem Platz gestanden hast, während deine Freunde beim Schwimmen waren. Es sind die Momente, in denen die Stammhirnrinde Endorphine und Glückshormone ausschüttet. Wir sind high. Wir haben zehn, zwanzig Sekunden Zeit für dieses kollektive Glück, Sekunden, die mit Glückwünschen, Abklatschen, Schulterdrücken vergehen, dann trotten wir wieder zurück in unsere Hälfte, aufgeladen von noch mehr Energie, noch mehr Spannung, bereit, den Gegner zu fressen.
    Zwei Minuten später spielen wir einen Ball schnell aus der Verteidigung nach vorne, Soldo schickt Szabics, der spielt sofort weiter zu Kuranyi, Kevin hebt den Ball über den Keeper von Manchester, und von der Innenseite der Querlatte tropft der Ball ins Tor.
    Es steht 2:0. Weihnachten!
    Jetzt bloß nicht nachlassen.
    Manchester kann das Tempo nicht steigern. Das Spiel findet hauptsächlich im Niemandsland des Mittelfelds statt. Erst als nach einem Eckball Cristiano Ronaldo umfällt und der Schiedsrichter auf Elfmeter entscheidet, wird es noch einmal eng. Van Nistelrooy haut den Elfer mit dem ganzen Selbstver-trauen des Stürmers, der gewohnheitsmäßig trifft, unter die Querlatte. Er holt den Ball aus dem Netz und trägt ihn zurück zum Mittelpunkt, um seinen Kameraden zu zeigen, hey, gebt Gas, wir sind wieder dran.
    Aber das war es dann schon. Wir verteidigen hinten so entschlossen wie die Schweizer das Bankgeheimnis. Ein paar Minuten später holt mich der Trainer runter. Ich bin platt, und er hat es gesehen. Zwei durchgespielte Bundesligapartien und das Spiel heute haben mich auch physisch an meine Grenzen gebracht.
    Magath gibt mir einen Klaps, sagt »Super, Philipp«, und ich wäre bestimmt happy und stolz gewesen, wenn wir das Spiel schon gewonnen gehabt hätten, aber es fehlen noch fast zwanzig Minuten.
    Verrückt: Als ich in meinen Trainingsanzug geschlüpft bin und auf der Bank sitze, spüre ich plötzlich die ganze Nervosität, die mein Gehirn auf dem Spielfeld in Energie umgewandelt hat. Ich spüre das Tempo, das ich gegangen bin, den Stress, der nicht zu vergleichen gewesen ist mit irgendeinem anderen Spiel, das ich je zuvor gemacht habe. Weit hinten im Kopf und unten in den Beinen machen sich Müdigkeit und Anstrengung bemerkbar, aber meine Aufmerksamkeit ist auf dem Platz geblieben, wo Manchester United jetzt den Ausgleich schaffen will und ich nichts mehr dagegensetzen kann.
    Aber die Chancen haben wir. Soldo scheitert mit zwei Kopfbällen, dann spielt Hleb auf Kuranyi, Ferdinand grätscht Kevin um, Elfmeter.
    Jetzt haben wir sie. Wir beglückwünschen uns schon auf der Bank. Fernando Meira wird schießen, unser routinierter Innenverteidiger, ein sicherer Schütze, dann steht es 3:1, noch zehn Minuten zu spielen, das holt selbst Manchester United nicht auf.
    Fernando läuft an, schießt in die linke Ecke, aber dort ist vor dem Ball schon Tim Howard, der Keeper. Gehalten, Chance vergeben. Die ganze Bank unter Schock, während drüben bei den Engländern zwei neue Leute bereitstehen, um mit frischen Kräften doch noch für den Ausgleich zu sorgen, der gerade noch meilenweit entfernt schien.
    Aber

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