Der feine Unterschied
nicht befördert. Selbst eine Mannschaft wie der FC Barcelona schleicht sich in entscheidenden Partien langsam und sicherheitsbewusst ins Spiel, stellt eine Grundruhe her und erarbeitet sich auf dieser Basis seine Möglichkeiten. Müsste Barcelona permanent einem Rückstand hinterherlaufen, so wie wir in der vergangenen Saison, würden die Glanzlichter in der Offensive deutlich seltener stattfinden.
Ich schlage dem Trainer bei mehreren Gelegenheiten vor, hinten enger zu stehen, insgesamt defensiver zu denken und als Ziel auszugeben, erst mal kein Gegentor zu bekommen. Dazu gehört auch die wenig ansehnliche Strategie, von hinten lange Bälle in die Hälfte des Gegners zu schlagen, auf die Abpraller zu gehen und die Spieleröffnung außerhalb der Gefahrenzone zu beginnen. Aber dafür hat van Gaal kein Ohr. Selbst der Torhüter darf nicht weit abschlagen, sondern muss mit seinem ersten Pass kontrolliert das Spiel nach vorne eröffnen.
Es ist eine Pointe, über die ich nicht lachen kann, dass ausgerechnet so ein Abschlag von Thomas Kraft gegen Nürnberg dazu führt, dass die Ära van Gaal doch noch vorzeitig zu Ende geht. Thomas schlägt einen Ball, den er abgefangen hat, viel zu kurz in meine Richtung, statt ihn auf die Tribüne zu pfeffern. Ein Gegenspieler geht dazwischen und schießt den Ball ins leere Tor. Wir spielen nur unentschieden, statt 1:0 zu gewinnen, und rutschen wieder hinter Hannover auf Platz vier. Das bringt unsere Bosse dazu, dass sie den angezählten Trainer endgültig von seinen Aufgaben entbinden.
Dass wir schließlich doch noch Platz drei erreichen, der uns einen Startplatz in der Champions-League-Qualifikation sichert, ist das Resultat guter Arbeit und der Anweisungen eines undogmatischen Trainers. Andries Jonker, der langjährige Assistent von Louis van Gaal, zeigt, dass es nur winziger Korrekturen bedarf, um die Mannschaft, die sich in ihrem Spielsystem gefangen fühlte, wieder frei aufspielen zu lassen.
Am Schluss landen wir fünf Punkte vor Hannover auf Platz drei und brüten über der Statistik: Hätten wir nicht in den ersten sieben Spielen der Saison so viele Punkte liegen lassen, wären wir wohl wieder Deutscher Meister geworden. Denn die Tabelle der restlichen 27 Spiele führen wir an.
Aber das ist nur ein schwacher Trost. Wir nehmen uns vor, in diesem Herbst schneller auf Touren zu kommen.
13. Kapitel
WIE DAS DRESSIEREN VON RAUBTIEREN
Champions League, Weltklasse und die große Fußball-Bühne
Unangenehme Erlebnisse verarbeiten — die Auswirkungen von Großereignissen — wie Fußballwunder geschehen — warum du nie den Glauben an den Sieg verlieren darfst — wie Weltklasse-Spiele entschieden werden — warum es mehr Freude macht, mit dem »eigenen« Klub Erfolg zu haben
Ich habe eine Erinnerung, bei der sich in mir der Magen zusammenzieht und üble Laune aufsteigt. Es ist die Erinnerung, in einem Hotel in einer kleinen Stadt namens Braga, irgendwo im Norden Portugals, zu hocken und im Fernsehen zuzusehen, wie Real Madrid gegen Werder Bremen spielt.
Ich bin bloß froh, dass damals niemand Fotos gemacht hat. Auf den Bildern sähe man ein paar demoralisierte FC-Bayern-Profis, die in der Hotellounge herumlungern und dabei Zusehen, wie in Bremen die große Fußballwelt zu Gast ist, Casillas, Raul, van Nistelrooy, während wir in Braga darauf warten, dass die Zeit vergeht. Am nächsten Tag spielen wir in der Europa League gegen den FC Braga, gegen Spieler, auf deren Namen man bisher kaum gestoßen ist, in einem Stadion, das nicht einmal zur Hälfte gefüllt sein wird, in einem Wettbewerb, an dem niemand von uns teilnehmen möchte.
Der FC Bayern ist ein Champions-League-Verein. Die Euro-pa League, so cool sie für manche Klubs aus kleineren Ländern auch sein mag, ist kein Wettbewerb, in dem wir uns wohlfüh-len. Wir gehören auf die große Bühne, nicht in den Kleinkunstkeller. Braga fühlt sich in meiner Erinnerung wie der muffigste Kleinkunstkeller ganz Europas an.
Hinter uns liegt DIE verkorkste Saison 2006/07. Nachdem wir mit Felix Magath zweimal hintereinander die Deutsche Meisterschaft und den Pokal gewonnen haben, läuft plötzlich nichts mehr, wie es soll. Wir starten stotternd in die Bundesliga, verlieren gegen Klubs, gegen die der FC Bayern nicht verliert, und kommen nie in Fahrt. Das Selbstbewusstsein, das uns normalerweise auszeichnet, will sich nicht einstellen, jenes berühmte »Mia san mia«, das im Kern sehr viel darüber erzählt, wie dieser Klub
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