Der feine Unterschied
verantwortlich für das Ganze fühlen wie der Kapitän. Das ist meine Theorie der »flachen Hierarchien«. Wer am Schluss den Impuls gibt, ein verloren geglaubtes Spiel zu drehen, ist völlig egal. Wichtig ist, dass das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist und dass der Impuls kommt. Deshalb spreche ich auch gerne von, Achtung, Mehrzahl, den Kapitänen einer Mannschaft.
Zwei Tage vor dem Halbfinale gegen Spanien stehen Pressetermine mit der »Bild«-Zeitung und der Münchner »tz« an.
Beide Journalisten stellen während ihrer Interviews unter anderem die Frage, ob ich Lust habe, auch in Zukunft Kapitän dieser Mannschaft zu bleiben.
Meine Antwort ist einfach und ehrlich: »Ja, klar.«
Und einmal mehr erkläre ich, warum: Ich habe zu einem Zeitpunkt, als das notwendig war, Verantwortung übernommen. Während der Vorbereitung auf die WM habe ich einen Führungsstil entwickelt, der von der Mannschaft, wie man sieht, gut aufgenommen wurde. Und ich vertraue mir selbst in meiner Funktion als Kapitän — sonst könnte mir ja die Mannschaft nicht vertrauen.
Während der WM-Vorbereitung habe ich schon gesagt, dass diese Nationalmannschaft die beste ist, in der ich je gespielt habe. Dafür wurde ich noch belächelt und einer platten Motivationsrhetorik verdächtigt. Als wir dann tatsächlich groß aufspielen und nicht nur unsere Fans, sondern sogar unsere Gegner begeistern, soll ich es mir anders überlegt haben? Nein, es ist ein Privileg, Kapitän dieser Mannschaft zu sein, das Höchste, was ein Nationalspieler erreichen kann. Ganz bestimmt will ich Kapitän dieser Mannschaft bleiben.
Ich bin reichlich verwundert, als nach Erscheinen der Interviews ein regelrechter Sturm losbricht. Von einer »Kampfansage« an Michael Ballack steht da zu lesen, von einem »Paukenschlag« oder gar von einem »Machtkampf«. Dabei habe ich mir sehr gut überlegt, was ich auf die Frage antworten soll, und ich bin überzeugt, die richtige Antwort gegeben zu haben.
Natürlich stehst du als Kapitän stärker in der Pflicht als zu der Zeit, als du dich nur um deine Position kümmern musstest. Du hast mehr Verantwortung, also auch mehr Druck. Das ist der Grund, warum nur Spieler in diese Position aufsteigen sollten, die mit Druck umzugehen wissen.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass du deine Position im Griff hast. Dafür musst du sie in der Regel jahrelang auf höchstem
Niveau gespielt haben. Erst wenn dich keine Spielsituation mehr wirklich überrascht, bekommst du die spezielle Sicherheit, die deinem Spiel etwas Unantastbares verleiht und dich zur Respektperson auf dem Platz befördert - für den Gegner, aber auch für die eigene Mannschaft. Dann funktioniert dein Spiel auch unter Druck. Funktioniert immer. Dann kannst du deine Leistung auch in kritischen Situationen abrufen. Bist du in der Lage, über deinen eigenen Wirkungskreis hinaus am Spiel teilzunehmen.
Ich bin vielleicht der jüngste WM-Kapitän der Deutschen Nationalmannschaft, aber ich habe immerhin bereits drei große Turniere gespielt, 2004 als Rookie, wurde 2006 und 2008 für die FIFA-Auswahl nominiert, hatte ein Angebot von Real Madrid und eines von Barcelona. Während all dieser Jahre spielte ich konstant und bestätigte meine Erfolge. Es liegt in der Natur unseres Sports, dass ich für das Amt als Kapitän infrage komme. Die Mechanismen im Spitzenfußball kennen keine Nachsicht. Sobald die Leistungen nicht mehr stimmen, verliert der verdienteste Spieler seine Aura - und danach seine Funktionen. Für Michael Ballack ist es hart, dass er nach seiner schweren Verletzung die Rückkehr in die Nationalelf nicht mehr geschafft hat. Persönlich tut mir das leid für Balle. Aber als Spitzenfußballer muss er genauso wie ich zur Kenntnis nehmen, wie die Mechanismen unseres Sports funktionieren. Persönliche Befindlichkeiten spielen dabei zwangsläufig eine untergeordnete Rolle. Das klingt vielleicht hart - aber es gilt für jeden von uns.
Nach der Winterpause 2010/11 wechselt Mark van Bommel, Mittelfeldspieler und seit zweieinhalb Jahren Kapitän des FC Bayern, nach Mailand. Am Tag vor dem nächsten Spiel der
Rückrunde holt mich der Trainer Louis van Gaal zu sich und sagt: »Philipp, ab jetzt sind Sie Kapitän.«
Auch das kommt nicht überraschend. Basti Schweinsteiger und ich sind schon zweite und dritte Kapitäne des FC Bayern gewesen. Wenn Mark nicht dabei war, hatten wir beide schon die Binde getragen.
Einerseits besteht kein großer Unterschied zwischen
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