Der Feuerstein
muss. Ich umklammere meine Amulette – den eingesperrten Feuerstein des Animagus und die hässliche goldene Blume des Conde – um mich daran zu erinnern, dass ich zweimal bereits gesiegt habe.
Aber ich weiß, dass das nicht reicht. Irgendetwas entgeht mir nach wie vor.
Verzweifelt schließe ich die Augen. »Versucht zu beten, wenn Ihr zweifelt«, hat Vater Alentín gesagt. Also tue ich das.
Wir reisen so schnell wie möglich, und unsere Karawane legt die Strecke von Basajuan nach Brisadulce in etwas über
einem Monat zurück. Genau wie das letzte Mal kommen wir durch die Palmenallee, als unvermittelt eine riesige Mauer vor uns in den Himmel ragt, wie die perfekte Fortführung des orangegelben Sandes, aus dem sie sich erhebt. Es ist so sehr wie damals, als ich die Stadt das erste Mal vor mir sah, dass es mir die Kehle zuschnürt. Wie lange war ich weg? Fünf Monate? Vielleicht mehr? Ich habe den Überblick verloren.
Hector lässt unseren Zug halten und kommt zu mir geritten. Ich schütze die Augen mit der Hand gegen die Wüstensonne und sehe zu ihm auf.
»Wie würdet Ihr denn gern die Stadt betreten, Elisa? Soll ich Euch am Haupttor ankündigen lassen? Oder wollt Ihr wieder den Weg durch die Händlergassen nehmen?«
Sein Pferd, ein rötlicher Brauner, wirft den Kopf hin und her und bläht die Nüstern. Erschreckt trete ich einen Schritt von dem Tier zurück und sage: »Bitte nicht durchs Haupttor.«
Lord Hector nickt. »Dann durch die Händlergassen.«
Er führt uns an der Stadtmauer entlang nach Süden. Von Nahem sehe ich, dass sich in meiner Abwesenheit einiges getan hat. In gleichmäßigem Abstand von der Mauer wurden kleine Befestigungen errichtet – dunkle Gruben lauern im Sand, hastig errichtete Mauern aus Ziegeln und Ton mit schmalen Schießscharten, Sandhaufen, die mit Zeltstoff und Fellen abgedeckt sind. Hoch über uns marschieren Gestalten auf dem Wehrgang entlang, winzige Spielzeuggardisten mit Speeren und Bogen.
Hinter den Toren sind die Verteidigungsmaßnahmen noch deutlicher zu erkennen. Pfeile liegen in ordentlichen Packen überall an der Innenseite der Stadtmauer, und die ersten Gebäude,
an denen wir vorüberkommen, sind leer und still; eine Barriere verlassener Leblosigkeit umgibt die Stadt. Traurigkeit durchdringt meine Brust, als wir schließlich den ersten Bürgern Brisadulces begegnen. Sie eilen mit gesenkten Köpfen und ohne ein Lächeln an uns vorüber. Von der lebensfrohen Gemeinschaft, die es vor meinem Abschied hier gab, ist nicht mehr viel übrig.
Ich nehme Hector beiseite, als wir uns den Stallungen nähern. »Seid Ihr sicher, dass uns niemand erwartet?«, frage ich.
»Wir haben nicht gewagt, eine Nachricht zu senden«, sagt er. »Vor allem, weil uns noch in Erinnerung war, wie uns auf der letzten Reise die Dschungel-Perditos auflauerten. Ihr seid nun ein Ziel für Angriffe, seit bekannt ist, dass Ihr Alejandros Frau seid.«
Ich bin schon allein deshalb ein Ziel, weil ich den Feuerstein trage, aber ich verzichte darauf, ihn zu verbessern. »Und Alejandro weiß nicht, was aus mir geworden ist?«
»Nein.«
Plötzlich bin ich froh darüber, dass Ximena meine verschlüsselte Nachricht nie bekommen hat. Jetzt werde ich das Überraschungsmoment zu unserem Vorteil nutzen.
»Bitte kündigt mich jetzt noch nicht an. Ich würde gern einen großen Auftritt haben.«
Er kneift die Augen leicht zusammen. »Wie meint Ihr das?«
»Ich würde gern als … als die Lady der Malficio angekündigt. Jedenfalls in der Öffentlichkeit.«
Er denkt kurz darüber nach. »In diesem Fall kann ich Euch jetzt nicht in Eure Räume bringen. Wir werden einen anderen
Platz finden müssen, wo Ihr Euch frisch machen könnt. Vielleicht irgendwo in den Dienstbotenquartieren.«
»Das wäre perfekt.«
Wir verstecken uns in der Kutsche hinter vorgezogenen Vorhängen, während Hector die nötigen Vorkehrungen trifft. Es dauert nicht lange, dann werden Ximena, Mara und ich in einen schlichten weiß getünchten Raum mit einem Alkovenbett geführt. Mara bietet an, auf dem Boden zu schlafen.
König Alejandro wird erst morgen Nachmittag wieder Hof halten. Wir bestellen uns etwas zu essen und bleiben in unserem Gemach, erzählen uns Geschichten, laufen auf und ab. Es ist eine seltsame Zeit, denn ich denke viel über meinen Ehemann nach und frage mich, wie viele Wände uns wohl voneinander trennen mögen. Das Schloss sollte mir vertraut vorkommen, wie ein Zuhause. Hier bin ich wieder eine Prinzessin, die
Weitere Kostenlose Bücher