Der Feuerstein
Zofen.
Das Gesicht des Königs wird klarer, als ich mich dem Podium nähere. Es ist seltsam leer und zeigt nur einen leichten Hauch von Interesse. Ich habe schon die halbe Strecke von der Tür bis zum Thron zurückgelegt, als sich seine Miene ändert. Sein Blick gleitet von oben bis unten über meinen Körper, vom Kopf bis zu den Füßen, und bleibt schließlich an meinen Brüsten haften. Seine Lippen formen ein halbes Lächeln. Die Neugier bleibt erkennbar und wird auf gewisse Weise intensiver. Einladend. Es ist das Gesicht eines Fremden.
Hitze steigt mir in die Wangen. Freude flammt in mir auf, durchbohrend wie ein Pfeil. Nein, es ist keine Freude, es ist ein Gefühl von Macht – von einer Art, wie ich sie noch nie gespürt habe.
Alejandro erhebt sich. Er lächelt noch immer. »Willkommen, Lady der Malficio«, sagt er in formellem Ton, während seine Augen deutlich erkennen lassen, dass ihm gefällt, was er vor sich sieht.
In diesem Augenblick überkommt mich beinahe Panik. Das Gefühl von Freude und Macht verflüchtigt sich, und
Erniedrigung tritt an ihren Platz. Mein Ehemann erkennt seine eigene Frau nicht. Das ist offenkundig. Und gleichzeitig gibt er sich hier, in aller Öffentlichkeit, keine Mühe zu verbergen, dass er die scheinbar Fremde, die vor ihm steht, attraktiv findet.
Er pflegte mich so intensiv anzusehen, als ob es außer mir auf der Welt nichts mehr gäbe. Habe ich mich so sehr verändert? Vielleicht aber war dieser faszinierende Blick nur eine von vielen Waffen, die er nutzt, um seine Anziehungskraft zu vergrößern. Vielleicht hat er niemals richtig hingesehen.
Den restlichen Weg treibt mich der Zorn voran. Er ist es, der sich schmutzig und beschämt fühlen sollte, nicht ich. Vor dem Podium sinke ich in einen tiefen Knicks.
»Euer Majestät«, sage ich mit gesenkten Augen.
Dann ertönt schüchtern und hell eine Stimme zu Alejandros Linken. »Elisa? Äh, ich meine, Hoheit?«
Verblüfft sehe ich auf. Ein kleiner Junge sieht mit großen Augen hinter einem bauschigen Rock hervor. Zerzaustes schwarzes Haar, Zimtaugen. Es ist Prinz Rosario, der nun über das ganze Gesicht lacht. »Ihr seid es!«
Ich breite die Arme aus, als er auf mich zustürmt, und als er meine Hüften umklammert, beuge ich mich vor und küsse seinen Kopf. Dabei muss ich ein paar Tränen wegblinzeln, denn es ist mir peinlich, wie viel mir seine begeisterte Begrüßung bedeutet.
»Oh mein Gott.« Nun kommt Alejandro auf uns zu. »Ich habe dich nicht er… Wir dachten, du wärst …«
Es ist eigentlich unverzeihlich. Rosario hat sofort gewusst, wer ich bin, obwohl wir lediglich ein paar Stunden miteinander verbracht haben. Und Ximena allein hätte meinem Ehemann
schon Hinweis genug sein sollen. Aber ich beschließe, das freundlich zu übergehen. »Es ist schön, dich wiederzusehen, Alejandro.«
»Ja, ja, dich auch.« Er drückt mir seine Lippen auf die Stirn, dann betrachtet er eingehend mein Gesicht. Dabei sieht er so verwirrt aus, dass ich beinahe lachen muss. »Was ist das für eine Geschichte mit der Lady der Malficio?«, fragt er.
»Wir haben viel zu besprechen.«
Er blinzelt einige Male. Dann wendet er sich an die Menge und erklärt: »Die Audienz ist für heute beendet.« Seine Lippen umspielt dieses jungenhafte Grinsen, das zuvor gewöhnlich meine Zehen zum Schmelzen brachte, und er sagt mit leiserer Stimme: »Meine Frau ist zurückgekehrt.«
Er legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an sich, dann führt er mich aus dem Audienzsaal, das Raunen und Murmeln der Höflinge hinter uns zurücklassend. Nun, da er den ersten Schock überwunden hat, macht er einen sehr erfreuten Eindruck.
Ich wünschte, ich könnte sagen, wie ich mich fühle.
Ein wenig erzähle ich ihm von meiner Zeit in der Wüste, von unserer Gefangennahme durch den Conde. Aber seine Nähe verwirrt mich. Obwohl meine Zofen und ich in den Dienstbotenquartieren gut versorgt wurden, gebe ich Alejandro gegenüber vor, hungrig und erschöpft zu sein, und verabschiede mich so schnell wie möglich wieder.
Er sieht ein, dass ich ein wenig Zeit für mich brauche. »Wir können heute gemeinsam zu Abend essen«, schlägt er vor. »In meinen Gemächern. Dann kannst du mir den Rest erzählen.«
Ich erkläre mich mit ein paar gemurmelten Worten einverstanden und lasse mich von ihm zu meinen alten Räumen geleiten. Zu den Gemächern der Königin. Während wir durch die steinernen Korridore schreiten, gefolgt von Ximena und Mara, merke ich, dass
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