Der Feuerstein
zukünftige Königin. Aber ich fühle mich distanziert und kalt. Ich vermisse den offenen Himmel, den Wechsel von Licht und Schatten von unserem Dorf am Tafelberg.
Ich vermisse Humberto.
Am nächsten Tag macht mich Ximena nach allen Regeln der Kunst zurecht. Sie nimmt eine Haarpartie, flicht daraus einen Zopf und legt ihn dann wie eine Krone um meinen Kopf. Der Rest fällt mir in weichen Wellen bis zur Hüfte. Meine blutdurchtränkte Reitkleidung hat sie noch in Basajuan weggeworfen, hat sich aber dort im Schloss nach passendem Ersatz umgesehen, und nun zieht sie ein Kleidungsstück nach dem anderen aus der Reisetruhe hervor, um sie mir zu zeigen. Das erste ist aus weichem grünem Linnen; unterhalb der gerafften Taille sind Streifen aus fast durchsichtigem
Stoff eingearbeitet. »Zu weiblich«, lehne ich ab. »Ich muss den Eindruck vermitteln, als hätte ich die Malficio in den letzten Monaten anführen können.«
Als Nächstes präsentiert sie mir ein Kleid aus Samt, mit geometrischen Linien gemustert und mit einer schwarzen Borte abgesetzt. Aber die Farbe, ein tiefes Wüstenrot, sieht aus wie Blut, wenn das Licht in bestimmtem Winkel darauf fällt. Wenn wir nichts Besseres finden, kommt das jedoch immerhin in die engere Auswahl, wie ich Ximena sage.
Sie legt einen Reitrock beiseite, um das nächste Stück aus der Truhe zu holen.
»Warte«, sage ich. »Was ist das?«
Sie hält den Reitrock hoch. Er ist geteilt wie eine Hose, nur mit weiten Beinen, und aus einem sehr dicken schwarzen Wollstoff gefertigt. Dazu gehören ein passendes Mieder und ein waldgrünes Oberteil mit schwarzen Knöpfen und Borten. Das Ensemble vermittelt Kraft und Zielstrebigkeit. Und es sieht aus, als sei es mir zu klein.
»Das gefällt mir«, sagt Mara.
Der Rock umschließt überraschend elegant meine Hüften. Ximena zieht die Schnüre des Mieders zu, wobei ich mir eine Warnung nicht verkneifen kann: Sie soll es sich ja nicht einfallen lassen, mich zu fest zu schnüren. Dann reibt mir meine Kinderfrau ein wenig Rot auf die Lippen und unter die Wangenknochen und umrandet meine Augen mit Kajal. Mara sieht der ganzen Prozedur aufmerksam und fasziniert zu.
Schließlich erscheint Lord Hector und führt uns ins Innerste des Schlosses. »König Alejandro weiß, dass ich ihm die Anführerin der Malficio vorstellen werde«, erklärt er mir. »Aber er weiß nicht, dass Ihr es seid. Euch ist natürlich
bewusst, dass er angesichts dieses kleinen Täuschungsmanövers recht ungehalten sein könnte?«
Ein humorloses Lächeln kräuselt meine Lippen. »Ich werde Euch beschützen.« Obwohl es sich wohl erst noch herausstellen wird, ob ich überhaupt Einfluss auf meinen Ehemann habe.
An meine Zofen gewandt, sage ich: »Wenn man mich vorstellt, dann müsst ihr genau hinschauen, wie die Menge reagiert. Es ist wichtig, dass ich einen Eindruck davon bekomme, wie man hier über die Malficio denkt. Und genauso interessiert mich, ob sich diese Einstellung ändert, wenn jemand erkennt, wer ich wirklich bin.«
Sie nicken zum Zeichen, dass sie verstanden haben. Lord Hector blickt mich nachdenklich an.
Viel zu schnell sind wir da. Ich sehe zum Rahmen der großen Flügeltür hinauf und fühle mich sehr klein. Als ich das letzte Mal diesen Audienzsaal betreten habe, stand ich auf der anderen Seite, und ein Kind machte die ganze Welt auf meine Körperfülle aufmerksam.
Die Türen öffnen sich und geben den Blick auf einen langen Mittelgang frei, der auf beiden Seiten von einer dichten Menschenmenge flankiert wird. Schwere Kandelaber hängen über uns an der Decke und bilden eine perfekte Linie bis hin zum Podium und zum Thron. Dort hat sich mein Ehemann, König Alejandro de Vega, in einer herrlich gelangweilten Pose hingestreckt, die Schultern ein wenig schief, eines seiner langen Beine weit von sich gestreckt. An seinem schönen Gesicht ist deutlich abzulesen, dass er mein Eintreten kaum bemerkt hat.
»Euer Majestät«, verkündet Lord Hector. »Ich präsentiere
Euch die Lady der Malficio, die kürzlich mit eigener Hand einen Animagus erschlagen hat.«
Ich werfe Hector einen scharfen Blick zu; das zu verraten, hatte ich ihn gar nicht aufgefordert.
Die Höflinge sehen mich nun mit ungenierter Neugier an. Alejandro richtet sich ein wenig auf und kneift die Augen leicht zusammen. Es ist immer noch schwer, normal zu atmen, wenn er mich so intensiv ansieht. Hector gibt meinem Ellenbogen einen leichten Stups, und ich stolpere nach vorn, gefolgt von meinen beiden
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