Der Feuerstein
musste ein Mitglied des Quorums schicken, jemanden, der genügend Befehlsgewalt hatte, um die Besitzungen im Notfall zu beschlagnahmen. Ariña und ich waren die Einzigen, die abkömmlich waren. Ich kam erst gestern hier an.«
»Und gestern sagte Euch der Conde, dass er ein Druckmittel gefunden hätte, um wirklich für alle Zeiten Frieden zu erzwingen«, vermute ich.
»Ja. Er sagte, er habe die Anführerin einer verräterischen Rebellenbande gefangen genommen.« Ein kurzes Lächeln lässt die Enden seines Schnurrbarts zucken. »Jemanden, den die Animagi unbedingt in ihre Gewalt bekommen wollten. Er dachte, wenn er Euch als Zeichen seines guten Willens an Invierne auslieferte, dann würden sie wieder Handelsbeziehungen und Friedensverhandlungen mit ihm aufnehmen. Offenbar hatte es zuvor einen Vorfall gegeben, der ihr Verhältnis empfindlich gestört hatte. Vergiftete Vorräte oder dergleichen.«
Meine Gefährten werfen einander beunruhigte Blicke zu und verstehen den belustigten Ausdruck nicht, der in Hectors Augen aufblitzt.
»Ein hervorragender Plan, brillant ausgeführt«, kommentiert er schließlich und nickt respektvoll. »Ich denke, das alles wird uns sehr zum Vorteil gereichen.«
»Und was geschieht nun?«, fragt Cosmé. »Ich denke, wir sollten Alentín und den Malficio eine Nachricht zukommen lassen und ihnen sagen…«
Es klopft an der Tür. »Lord Hector!«, ruft eine gedämpfte Stimme. »Hier ist Hauptmann Lucio.«
Besorgnis zieht über sein Gesicht. Er schreitet zur Tür und öffnet sie mit einem Ruck. »Hauptmann?«
Zwar kann ich nicht an Hectors breiten Schultern vorbeisehen, doch die Stimme des Hauptmanns dringt laut und klar zu uns herein, als er erklärt: »Wir haben gerade Nachricht erhalten, Lord Hector, dass das Heer von Invierne mit dem Marsch gegen Joya d’Arena begonnen hat.«
Dritter Teil
29
H ector bittet mich, mit ihm nach Brisadulce zurückzukehren. Innerlich bin ich so durcheinander, dass ich kaum sagen kann, was jetzt richtig und was falsch wäre. Die Malficio brauchen mich, rede ich mir ein, obwohl das nicht stimmt. Meine Leute sind bestens in der Lage, ohne mich weiterzumachen. Aber vielleicht brauche ich sie. Ich habe sie geschaffen. Sie gehören mir, haben nichts mit meiner Schwester oder meinem Ehemann zu tun. Sie sind etwas, worauf ich stolz sein kann. Wenn ich sie verlasse, werde ich wieder nur Elisa sein.
Ich versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, Alejandro nach all dieser Zeit wiederzusehen. Wenn ich die Augen schließe, erinnere ich mich an Haar, das sich im Nacken kräuselt, an leuchtend rötlich braune Augen, aber seine genauen Gesichtszüge wollen vor meinem geistigen Auge einfach nicht auferstehen. Je mehr ich es versuche, desto mehr Nebel legt sich über meine Vorstellungskraft. Stattdessen kommt mir ein anderes Gesicht in den Sinn, ein Geist mit dunkler Haut und lachenden Augen, mit einem kraftvollen Kinn, über das sich der erste Anflug eines Bartes legt.
Inzwischen weine ich nicht mehr. Ich bin zu müde. Ximena weiß, dass es da etwas gibt, das mir schwer auf dem Herzen liegt, aber ich bringe es nicht über mich, über Humberto zu sprechen.
Cosmé ist es schließlich, die mich überzeugt, dass ich gehen soll. »Wenn das, was Belén sagt, stimmen sollte …« Sie schluckt und setzt noch einmal an. Sie trauert um Belén, darum, was aus ihm geworden ist. »Wenn das, was er gesagt hat, stimmt, dann wollen die Animagi deinen Feuerstein.« Jetzt hat sie sich wieder im Griff, wie immer, ihr Gesicht ist hart, die Stimme flach. »Wir können uns vermutlich nicht einmal vorstellen, welche Art der Hexerei sie mit einem letzten lebenden Feuerstein heraufbeschwören könnten. Du musst von hier fliehen. Gib deinem Ehemann die Möglichkeit, dich zu verteidigen.« Ihre Worte sind stark und kraftvoll. Sie sollten Leidenschaft in sich bergen, aber Cosmé ist wie aus Eisen. Oder wie aus Eis. Mir wird klar, dass sie mehr verloren hat, als ich mir vorstellen kann. Ich habe nie Eltern gehabt, die ich hätte verlieren können – meine Mutter starb bei meiner Geburt, und mein Vater war stets zu beschäftigt, um für mich Zeit zu haben. Von daher kann ich nicht einmal ansatzweise verstehen, was in ihr vorgehen mag. Dann wurde Belén von ihrer Seite gerissen. Genau wie zahllose Freunde und Verwandte. Und nun ihr Bruder.
Cosmé hat recht. Das sagt mir ein tiefes Verständnis in meinem Inneren. Invierne darf nicht in den Besitz meines Feuersteins kommen. Sie dürfen auch
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