Der Feuerstein
während der Nachmittag voranschreitet, beginnt mein Nabel mit verräterischer Kälte zu pulsieren; nur ganz leicht und mit einem kurzen Gebet sofort wieder zu beruhigen. Aber es bedeutet, dass das Heer von Invierne auf dem Weg zu mir ist und dass unsere Feinde schon näher sind, als wir dachten.
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N ach der Krönung hatte ich erwartet, meine Aufmerksamkeit dem ernsten Thema der Kriegsvorbereitungen widmen zu können. Aber es scheint, als ob die Hälfte der Bevölkerung von Joya d’Arena einen Rat oder einen Gefallen von der Königin erbitten möchte. Die andere Hälfte hingegen versucht dafür zu sorgen, dass ich in ihrer Schuld stehe, und überschüttet mich mit Weisheiten bezüglich gewisser einschlägiger Themen ebenso wie mit Geschenken und stellt mich wichtigen Leuten vor. Die ersten zwei Tage als Königin verbringe ich damit, wie ein Huhn mit dem Kopf zu nicken und »vielen Dank« zu sagen.
Am zweiten Nachmittag, als die zierliche, aber unscheinbare Lady Jada in meinem Zimmer auf mich einschnattert, baut sich in meinem Bauch eine Lawine aus machtloser Wut auf. Es gibt so vieles, was ich jetzt tun könnte. Ich muss unbedingt die Feuersteine suchen, mit General Luz-Manuel unsere Strategie besprechen, alles für das Eintreffen der Flüchtlinge vorbereiten, ein Gespräch mit Condesa Ariña führen und vielleicht ein wenig Zeit mit Rosario verbringen.
Rosario. Niemand achtet auf ihn. Niemand kümmert es, was er tut.
Mit erhobener Hand unterbreche ich Lady Jadas abfällige Bemerkungen darüber, wie schlecht manche Leute ihre Wäsche waschen. »Gerade fällt mir ein, dass ich noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen habe.« Ich schenke ihr ein leeres Lächeln. »Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen.«
Sie kräuselt verwirrt ihre winzige Nase, erholt sich aber schnell. »Wir müssen bald wieder plaudern«, sagt sie und macht einen Knicks.
»Ich würde mich sehr freuen.«
Sobald sie gegangen ist, wende ich mich an Ximena. »Rosario wird ein paar Tage bei uns bleiben. Es muss ein zusätzliches Bett hier hereingestellt werden, und er braucht Kleidung, in der er herumtollen kann, vielleicht auch ein paar Spielsachen. Sag seiner Kinderfrau, dass sie eine Woche freihat. Oh, besser noch, sag ihr, sie braucht nicht mehr zurückzukommen, bevor der Krieg vorbei ist.«
Sie lächelt breit. »Ich bin schon auf dem Weg.«
Mara schicke ich los, damit sie den Jungen holt, und dann gehe ich eine Weile in meiner Suite auf und ab und denke nach. Jedes Mal, wenn ich die Fliesen betrachte, die das Badebecken einfassen, vibriert der Feuerstein leicht.
Wenig später kehrt Mara mit Rosario zurück. Er sieht mich mit großen, fast ein wenig misstrauischen Augen an.
Ich lächele. »Ich dachte, du würdest vielleicht gern eine Weile bei uns bleiben.«
Seine Augen werden schmal. »Wieso?«
Eigentlich habe ich schon den Mund geöffnet, um ihm eine beruhigende und unverfängliche Antwort zu geben.
Aber ich weiß noch viel zu gut, wie es sich anfühlte, auf Papás Hacienda aufzuwachsen, zwischen lauter Erwachsenen, die sich über meinen Kopf hinweg unterhalten haben, und deswegen erkläre ich: »Ich brauche deine Hilfe.«
Er schürzt die Lippen und denkt darüber nach. »Ich habe Papá gesagt, dass ich bestimmt helfen könnte. Mit dem Krieg. Aber er hat gesagt, dafür wäre ich noch zu klein.«
»Nun, ich brauche jetzt aber deine Hilfe. Mit dem Krieg. Wie wäre es, wenn du ein bisschen für uns spionieren würdest?«
Seine Lippen verziehen sich zu einem schüchternen Lächeln.
Später am Nachmittag trifft die erste Flüchtlingswelle ein. Es sind zumeist junge, gesunde Menschen – diejenigen, die am schnellsten vorangekommen sind. Wir bringen ein paar Hundert im Palast unter, einige Hundert weitere auf Gütern in der Nähe. Den frühen Abend verbringe ich damit, dafür zu sorgen, dass sie so viele Annehmlichkeiten haben, wie es unter den Umständen möglich ist, und ich lausche in ihren Erzählungen von Flucht und Entbehrungen nach möglichen Hinweisen auf die Freunde, die ich zurückgelassen habe. Wie ich erfahre, sind die Malficio immer noch aktiv, und Tausende von Menschen, vor allem Flüchtlinge, beteiligen sich nun an ihrem Feldzug. Aber mein Feuerstein wird immer kälter, und ich sorge mich um jene, die es nicht bis zur Stadt schaffen werden, bevor Inviernes Heer hier eintrifft.
Im Speisesaal esse ich an diesem Abend zusammen mit meinem Mann und General Luz-Manuel. Gerade sind wir mit einem Teller Truthahnfilets
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