Der Feuerstein
ich in meine Räume zurückkehre. »Ich habe jeden gefragt, den ich heute getroffen habe, aber niemand wusste etwas. Ich meine, jeder wusste sofort, von welchen Fliesen ich spreche, aber niemand konnte mir etwas zu ihnen sagen.« Trotzdem hüpft sie beinahe vor Aufregung.
Rosario hat sich auf meinem Bett eingerollt und spielt mit seinen Zehen, während er dem Ausbruch meiner Zofe mit wachsamer Neugier zusieht.
»Ich nehme an, du hast etwas entdeckt?«, erkundige ich mich.
Sie grinst. »Rosario weiß etwas über sie.«
»Oh?«
»Vater Nicandro hat es mir einmal erzählt.« Der kleine Prinz zieht die Nase kraus. »Im Geschichtsunterricht.«
Mir stockt der Atem. Was jetzt kommt, ist wichtig, das spüre ich. Das Flirren meines Feuersteins bestätigt das. »Was genau hat Vater Nicandro dir gesagt?«
»Er hat gesagt, dass jemand, der sehr wichtig war, die Fliesen gemacht hat. Jemand, den die meisten Leute heute längst vergessen haben, aber Vater Nicandro glaubt, dass sich das bald ändern wird.«
Das klingt alles höchst seltsam. »Und das ist es? Das war alles, was er gesagt hat?«
Rosario sinkt ein wenig in sich zusammen, rollt sich zu einem kleinen Ball. »An mehr kann ich mich nicht erinnern«, sagt er kleinlaut.
Ich mache ihm Angst. Also hole ich erst einmal tief Luft und entspanne mich. »Rosario, das war eine wirklich große Hilfe. Vielen Dank.«
Er strahlt.
Ich frage ihn nicht, ob er versucht hat, die Feuersteine zu finden. Ein kurzer Blick auf seine Hände, auf die Schmutzschicht unter seinen Nägeln, sagt mir alles. Und so entschuldige ich mich und laufe zum Kloster hinüber.
Vater Nicandro freut sich, mich zu sehen. Ich muss ein Grinsen unterdrücken, als er mich umarmt, weil er mir kaum bis an die Wange reicht und so leicht ist wie ein Kind. Er führt mich bei Kerzenlicht ins Schreibzimmer, und wir setzen uns auf die Hocker, die um den Tisch herumstehen.
»Majestät, ich bin so froh, dass Ihr gekommen seid. Seit Eurer Rückkehr hatten wir noch keine Möglichkeit, uns richtig zu unterhalten. Aber bitte, sagt mir …«Er beugt sich zu mir, und seine Nase zuckt leicht. »Stimmt es, dass man Euch an die Tore des Feindes gebracht hat?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Vater. Ich war für kurze Zeit im feindlichen Lager, aber nicht im Land Invierne.«
»Sehr interessant. Und stimmt es, dass …«
»Vater, es tut mir leid, dass ich so zur Eile dränge, aber es gibt etwas, das ich über die Fliesen in meinem Atrium erfahren muss.«
»Welche Fliesen?«
»Prinz Rosario hat mir berichtet, dass Ihr über sie Bescheid wisst. Kleine gelbe Blumen mit blauen Tupfern. Eigentlich sehen sie nicht besonders schön aus…«
»Oh ja, natürlich! Ich hätte mir gleich denken können, dass Ihr etwas über sie wissen wollt.«
»Warum das?«
»Fast jede Fliese mit diesem Motiv wurde von Fräulein Jacoma höchstselbst gemalt. Ihr Vater war ein Fliesenbrenner. Seit sie laufen konnte, hatte sie Spaß daran, Dekore für ihn zu malen.« Auf meinen verwirrten Blick fügt er hinzu: »Sie trug den Feuerstein, Majestät!«
Heftig atme ich ein. Ich habe es gewusst. Irgendwie habe ich es gewusst.
»Sie starb, als sie ungefähr in Eurem Alter war. Knapp siebzehn. Den Berichten zufolge, die damals verfasst wurden, hat sie ihre Aufgabe nie erfüllt. Aber sie bemalte über zweitausend Fliesen mit dieser hässlichen gelben Blüte. Andere Künstler haben dieses Motiv über Generationen kopiert. Heute findet man es in jedem Schloss und jedem Kloster in Joya d’Arena. Leider erinnern sich außer einigen Priestern und Künstlern nur noch wenige Menschen an sie.«
»Fräulein Jacoma«, wiederhole ich staunend. »Eine Trägerin.«
Der Priester neigt sich zu mir herüber und sieht mich mit runden schwarzen Augen an. »Erinnert Ihr Euch an diese Passage im Afflatus, die ich Euch gezeigt habe?«
»Ja.«
»Ich habe eine Theorie entwickelt. Ihr wisst doch noch, dass an einer Stelle erst von einzelnen Trägern die Rede ist, sich der Bezug dann aber ändert? Dass der Text sich dann plötzlich auf alle Träger im Allgemeinen bezieht?«
Ich nicke und erinnere mich an all die Stunden, die ich über Alentíns Abschrift des Afflatus gebrütet habe und mich fragte, ob vielleicht ich es sein würde, die eines Tages an die Tore des Feindes käme.
»Nun, ich glaube, wir haben die Sache aus dem falschen Blickwinkel betrachtet. Was, wenn sie sich auf jeden einzelnen Träger – und auf alle Träger zusammen – zur
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