Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
Vom Netzwerk:
inzwischen bin ich ein wenig größer als vor meiner Entführung in die Wüste. Sicherlich wird das mein letzter Wachstumsschub gewesen sein.
    »Es wird perfekt sitzen, wenn ich es an der Brust noch ein
wenig ausgelassen habe«, sagt Ximena. »Alejandro wird dich wunderschön finden, wenn er dich darin sieht.« Etwas enorm Kraftvolles leuchtet in ihren Augen. Sie ist die Mutter, die ich nie gehabt habe, und sie wird den Tag meiner Krönung in vollen Zügen genießen, jeden Augenblick in ihrem Herzen einschließen. Ich strecke meinen Arm aus und drücke sie ein wenig.
    »Danke, Ximena.«
    Am nächsten Morgen weckt mich meine Kinderfrau schon früh, indem sie die Balkonvorhänge aufzieht, um das Sonnenlicht kupfern über mein Gesicht fallen zu lassen. Mara hilft mir über die glitschigen Fliesen in das Badebecken, während Ximena ein Badeöl aus Kräutern vorbereitet.
    »Mara, diese Fliesen.« Ich lasse meine Finger über die glasierte Oberfläche gleiten. Jede Kachel ist individuell bemalt, aber sie alle zeigen dasselbe Motiv: einen Blumenstrauß, vier gelbe Blütenblätter an jeder Blume, und jedes Blütenblatt ist mit einem blauen Punkt gekennzeichnet, wie ein Tintenfleck oder vielleicht auch ein Auge. Mein Feuerstein reagiert seltsam, als ich sie aus der Nähe betrachte, als ob er einen alten Freund begrüßt. »Kannst du dich heute einmal ein wenig umhören und etwas über sie herausfinden?«
    »Ja, sicher.« Sie schäumt mein Haar ein, und ich lehne mich zurück und schließe die Augen.
    Einige Stunden später stehe ich schon zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen vor dem Audienzsaal. Während ich vor der Flügeltür warte, höre ich das Murmeln von drinnen, und fast ersticke ich in meiner cremefarbenen Seide. Wieder eine so überstürzte Feierlichkeit, genau wie meine Hochzeit. Und wieder wartet Alejandro am Ende eines sehr
langen Ganges auf mich. Doch dieses Mal ist mein Vater nicht da, um mich zu führen. Diese Ehre kommt – auf meine ausdrückliche Bitte hin – Lord Hector zu.
    Ich sehe zu seinem schönen, wettergegerbten Gesicht empor. Er ist sogar noch größer als Alejandro, eine starke, beruhigende Präsenz.
    Er betrachtet mich nachdenklich. »Ihr seid eine so schöne Königin, Elisa«, sagt er mit gesenkter Stimme.
    Nie hätte ich erwartet, dass er so etwas sagen würde. »Ein oder zwei Monate, in denen ich genug Pasteten zuspreche, werden das schon wieder ändern«, erwidere ich, und dann lächele ich, um ihm zu zeigen, dass meine Bemerkung nicht ernst gemeint war.
    Sein Gesichtsausdruck bleibt unverändert. »Auch dann noch.«
    Es ist sehr nett von ihm, das zu sagen. »Vielen Dank, dass Ihr das hier übernehmt, Hector. Ich bin sehr froh, dass Ihr hier seid.«
    Er drückt leicht meinen Arm. »Jederzeit.« Nun richtet er seinen Blick auf die Türen, das Gesicht wie versteinert, aber inzwischen kenne ich ihn ein wenig besser. Wie Cosmé wird auch er zu Eis, um nicht zu viel Gefühl zuzulassen.
    Die ersten Töne des »Glorifica« dringen durch die Mauern. Hector und ich richten uns auf. Während sich die Musik mit schnellen, fließenden Tonfolgen steigert, öffnen sich die Türen. Ich halte den Kopf hoch erhoben, und Hector führt mich über den neu ausgelegten Teppich des langen Mittelgangs. Alejandro wirkt bei meinem Erscheinen wie erstarrt, Rosario hält sich wie ein schlanker Schatten neben ihm.
    Dann geht alles sehr schnell. Alejandro küsst mich auf
die Wange, und Vater Nicandro spricht laut einen Eid über Ehre und Verantwortung, den ich wiederhole. Von einem Sockel, auf dem ein Kissen ruht, nimmt der Priester die goldene Krone, deren Anblick allein mir schon Kopfschmerzen verursacht, und drückt sie mir mit einem leisen Zwinkern fest auf den Kopf.
    Auf sein Zeichen hin drehe ich mich zu den Höflingen um, und Vater Nicandro proklamiert: »Königin Lucero-Elisa de Vega né Riqueza!«
    Die versammelten Edelleute sinken auf die Knie. Alejandro ergreift meine Hand, und dann nehmen wir nebeneinander auf unseren Thronen Platz. Neidisch sehe ich Rosario hinterher, der von einer Kinderfrau weggebracht wird. Mein Hintern wird kalt und steif, während mir jeder einzelne Adlige im Audienzsaal vorgestellt wird. Ich erinnere mich an Ximenas Worte, dass ich ihnen den Schleier des Glücks gönnen sollte, den sie sich so verzweifelt wünschen. Also begrüße ich jeden mit einem zuversichtlichen Lächeln und sage ein paar ermutigende Worte, wenn die Rede auf den Krieg kommt.
    Aber es ist alles nur Schau, denn

Weitere Kostenlose Bücher