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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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das Glas ab. »Ich habe Angst vor diesem Krieg.« Er lächelt, aber auf eine Art, die zeigt, dass er selbst keinen Respekt vor sich hat. »Mein Vater wurde von einem Pfeil der Inviernos getötet. Vor meinen Augen. Ich habe heute noch Albträume deswegen. Und meine nächste echte Kampferfahrung hat mich viel Blut gekostet.«
    »Die Perditos«, flüstere ich. Ist er deswegen immer so unentschlossen? Weil er Angst hat?
    »Ja, die Perditos. Siehst du, wie wenig heldenhaft ich bin? Du hast mich an diesem Tag gerettet, schon vergessen?«
    Mir war nicht klar, dass es eine so erniedrigende Erfahrung sein kann, das Leben gerettet zu bekommen, und ich kann mich gerade noch davor zurückhalten, nicht entnervt die Augen zu verdrehen. »Ich verspreche, ich werde dir weitere peinliche Augenblicke ersparen und dich nächstes Mal einfach sterben lassen.«
    Er zuckt zusammen, und ich wünschte, ich könnte meine Worte zurücknehmen. Woher kommt nur diese neue, grausame Elisa? »Ich verstehe«, sage ich daraufhin als eine Art Friedensangebot. »In den letzten Monaten hatte ich manchmal so viel Angst, dass ich dachte, ich würde sterben. Aber die Zeit verging, es wurden Entscheidungen gefällt und entsprechend gehandelt, und danach musste ich zumindest eine Weile keine Angst mehr haben.«
    »Wird es dadurch leichter?«
    Ich lächele traurig. »Heute habe ich mehr Angst denn je.
Ich habe Menschen sterben sehen.« In meinen Armen. Ich muss schlucken, bevor ich weitersprechen kann. »Ich weiß, wie schwer es sein wird … danach weiterzumachen. Selbst wenn wir gewinnen sollten.«
    Bei meinen Worten scheint er in sich zusammenzufallen, und mir wird klar, dass ich wahrscheinlich alles nur noch schlimmer gemacht habe.
    Ich stehe auf und recke mich. Mein Appetit ist verflogen, und ich sehne mich nach Ximenas und Maras Gesellschaft. »Bitte entschuldige, wenn ich dich schon so früh verlasse, Alejandro, aber wenn wir in zwei Tagen eine Krönung feiern wollen, dann muss ich mit den Vorbereitungen beginnen.« Das ist eine Lüge. Nichts interessiert mich weniger als diese Krönungszeremonie.
    Er erhebt sich und nimmt meine Hände. »Ich freue mich, dass du zurück bist.« Da ist er wieder, dieser verlorene Blick, der mich früher dazu brachte, ihn festhalten und tröstliche Worte in sein Ohr raunen zu wollen.
    Seine Augen wandern zu meinen Brüsten. Das Mieder und das Oberteil schieben sie hinauf in Richtung Kinn. Beinahe habe ich das Gefühl, dass ich meinen Kopf, wenn ich ihn weit genug beugte, dort wie auf einem bequemen Kissen ablegen könnte.
    Seine Arme schlingen sich um meine Taille, und er zieht mich an sich, bis mein Busen sich an seine Brust schmiegt. »Elisa«, flüstert er, den Blick fest auf meine Lippen gerichtet.
    Ich will, dass er mich küsst, obwohl mein Herz sich dabei zusammenkrampft, weil es spürt, wie falsch das ist. Denn jetzt möchte ich das Triumphgefühl genießen, dass mich jemand
begehrt, den ich einst sehr attraktiv fand. So, wie er mich jetzt ansieht, weiß ich, dass ich heute Nacht tatsächlich bereit wäre, zum ersten Mal bei einem Mann zu liegen, falls ich mich dazu entscheiden sollte.
    Er beugt sich zu mir herunter, seine Lippen berühren die meinen. Erst sanft, dann beharrlich. Seine Finger spielen mit meinem Haar, er saugt leicht an meiner Unterlippe, seine Zunge fährt leise darüber. Er hat den weichen Mund eines Edelmanns, der sich in geschlossenen Räumen aufhält. Viel weicher als Humbertos.
    Mit einem scharfen Aufseufzen entziehe ich mich seinem Griff.
    Erst zuckt Verwirrung über sein Gesicht, die dann jedoch schnell von einem beruhigenden Lächeln abgelöst wird. »Ich verstehe dich, Elisa. Du bist noch nicht bereit für das hier. Wir haben jede Menge Zeit, um einander richtig kennenzulernen.« Er spricht mit derselben Stimme, mit der er sich auch an den kleinen Rosario wenden würde. Beschwichtigend, herablassend.
    »Danke für dein Verständnis.« Ich lächele süß. Am Tag, an dem er starb, sagte Humberto mir, es gäbe einen Weg, von Alejandro loszukommen. Was hatte er da entdeckt?
    Aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich muss Königin werden, damit ich den Menschen helfen kann, die mir ans Herz gewachsen sind. Ich hoffe nur, dass es in einigen Monaten überhaupt noch ein Land gibt, über das eine Königin herrschen könnte.
     
    Als ich durch die Tür, die unsere Räume verbindet, in meine Gemächer zurückkehre, liest Ximena in der Scriptura Sancta,
und Mara flickt ihr Kleid. Die beiden sehen mich

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