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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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gleichen Zeit bezieht? Wenn es um eine Aufgabe ginge, die alle Träger im Laufe der Zeit gemeinsam erfüllen?«
    »Was meint Ihr damit?«
    Er schüttelt den Kopf. »Das weiß ich nicht«, sagt er müde. »Ich weiß selbst nicht, was ich damit meine. Es ist nur der Funke einer Idee. Ich habe das Gefühl, dass hier etwas Größeres im Spiel ist, von dem ich aber nur den äußersten Rand greifen kann.«
    »Ich werde ein wenig über diese Idee nachdenken. Danke, Vater Nicandro. Vielleicht habe ich später noch mehr Fragen an Euch.«
    »Natürlich.« Er lächelt. »Ich bin froh, dass Ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid, meine Königin.«
    Ich sage nicht, dass ich mich überhaupt nicht wohlbehalten fühle.
     
    Am nächsten Morgen befiehlt Alejandro, die Tore zu schließen, was bedeutet, dass die Flüchtlinge, die es bisher nicht in die Stadt geschafft haben, nun kein sicheres Asyl mehr finden. Dennoch, es ist richtig, dass er so handelt. Hectors Hauptmänner berichten, dass im Osten Staubwolken über den Horizont wirbeln und die näher rückende Armee ankündigen. Dennoch schmerzt mich der Gedanke an die vielen Tausend Menschen, die nun draußen bleiben müssen.
    Einen großen Teil des Nachmittags verbringe ich damit, die Fliesen in meinem Atrium anzusehen. Hier ist eine Botschaft versteckt, dessen bin ich sicher. Sorgfältig betrachte
ich die Farbe und Form der Blumen, fahre mit den Fingerspitzen über den Rand der gebogenen Blütenblätter. Auf gewisse Weise fühle ich mich dieser uralten Fliesenmalerin verbunden. Ein Mädchen, ähnlich wie ich. Jacoma, was willst du mir sagen? Sie antwortet natürlich nicht, aber Gott flüstert Wärme in meinen Bauch, als spräche ich mit ihm. Aber ich werde mehr als Wärme von ihm benötigen, wenn wir am Ende Sieger bleiben wollen.
    Ich bin noch immer im Atrium, als der Ruf erschallt. Schritte hallen durch den Flur, panische Schreie dringen durch die offene Balkontür. Dann läuten die Klosterglocken in einer langsamen, tiefen Warnung.
    Ich lasse Rosario in Ximenas Obhut und eile aus dem Zimmer. Alejandro ist bereits im Korridor. Als er mich sieht, greift er nach meiner Hand und zieht mich mit sich, vorbei an den Küchen und zu den Stallungen.
    Angesichts der riesigen Pferdeköpfe, die aus den Boxen ragen, erstarre ich. »Alejandro«, bringe ich mit erstickter Stimme heraus, »ich reite nicht.«
    Er runzelt die Stirn. »Es ist doch nur bis zur Stadtmauer und zurück.« Schon satteln die Stallknechte einen großen Falbhengst. »Zu Fuß zu gehen würde zu lange dauern«, drängt er.
    »Ich werde sie dort hinbringen.« Lord Hectors Stimme lässt mich herumwirbeln. »Euer Heer braucht Euch, Majestät«, fährt der Gardist fort. »Ich eskortiere Ihre Majestät, die Königin, zur Stadtmauer. Wir werden gleich wieder bei Euch sein.«
    Alejandro nickt, dann schwingt er sich aufs Pferd und reitet davon.

    Die Straßen sind voller Menschen, die sich hastig auf den Weg machen, um einen ersten Blick auf den Feind zu erspähen. Lord Hector und ich schlängeln uns an Gebäuden vorbei und drängen uns durch das Chaos entsetzt hin und her rennender Bürger, bis wir endlich eines der vielen grob zusammengezimmerten Gerüste erreichen, die inzwischen an der Stadtmauer aufragen. Hector hilft mir eine wacklige Treppe hinauf bis nach ganz oben. Sofort fährt mir der Wind ins Haar und brennt in meinen Augen. Ich rieche die trockene Sauberkeit der Wüste und spüre einen sehnsüchtigen Stich bei dem Gedanken an meine Rebellen, die in diesem dürren Land kämpfen.
    Eine Bewegung zieht meinen Blick auf sich. Eine breite Front von Reitern erstreckt sich, soweit das Auge reicht, und die Nachmittagssonne schimmert auf Zaumzeug und verschwitzten Fellen, auf obsidianfarbigen Pfeilspitzen und weißer Gesichtsbemalung.
    Weiße Gesichtsbemalung.
    Ich frage mich, wie es ihnen gelungen ist, so viele Pferde durch die Wüste zu bringen. Selbst wenn sie den langen Weg gewählt haben und durch das grünere Land am Fuß der Hohen Sperre gezogen sind, muss es schwer gewesen sein, die Tiere auf einer solchen Reise mit genug Futter und Wasser zu versorgen. Und sollte es eine lange Belagerung geben, können sie kaum erwarten, dass die Pferde in dieser kargen Landschaft lange überleben.
    Eine Gruppe löst sich von den anderen und galoppiert voraus. Die Reiter beschreiben einen weiten Kreis und ziehen eine Runde nach der anderen, recken die Speere in die Luft und kreischen dabei wie Bergkatzen. Selbst auf diese

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