Der Feuerstein
kommen lasse.
Entsetzt weiche ich zurück, die Hand vor dem Mund. Lila und grün gefleckte, teigige Haut. Etwas Schwarzes, Klebriges sickert aus der Wunde, die Haut hat sich an den Rändern wie zu einer grinsenden Fratze aufgeworfen.
Das haben wir verschuldet, Ximena und ich, als wir sie von der Kutsche weggezogen haben.
Es gibt nur eines, was mir zu tun einfällt. Ich sinke meiner Kammerzofe gegenüber auf die Bank. Der Feuerstein pulsiert warm unter meinen Fingerspitzen, als ich die Augen schließe.
Ich bin die von Gott Erwählte. Sicher wird er meine Gebete erhören.
Am nächsten Morgen erwacht Aneaxi aus ihren Fieberträumen. Mein Herz überschlägt sich vor Hoffnung. Während der Nacht hat der Stein in meinem Nabel so viel Trost ausgestrahlt, dass ich genau weiß, Gott hat mich erhört. Ich bin sicher, dass Aneaxi wieder gesund wird.
Sie braucht einen Augenblick, bis sie weiß, wo sie sich befindet. Dann lächelt sie, als sie merkt, dass ich neben ihr sitze.
»Elisa«, flüstert sie. Ihre braunen Augen sind voll klarer Gelassenheit.
Ich streichele ihre Stirn. »Du hättest es uns sagen sollen, Aneaxi. Du hättest …«
»Hör mir zu.«
Meine Hand stockt mitten in der Bewegung.
»Elisa, dir steht ein großes Schicksal bevor.« Obwohl sie so leise spricht, liegt doch etwas Hartes in ihrer Stimme. Die Kutsche rattert, meine Zehen kribbeln.
Sie packt meine Hand und drückt sie. »Du darfst nicht den Glauben verlieren, Kind. Was auch immer geschehen mag. Zweifle niemals an Gott oder daran, dass er dich erwählt hat. Seine Weisheit ist unendlich viel größer, als wir uns vorstellen können.«
Ich schüttele den Kopf. Das ist nicht gut. So hat sie noch nie mit mir gesprochen. Ich will ihr sagen, dass sie wieder gesund werden wird, dass ich inbrünstig für sie gebetet habe …
»Er liebt dich so sehr. Genau wie ich. Versprich mir, dass du ihm vertrauen wirst.«
Ich sollte es ihr versprechen. Ich sollte alles tun, um sie zu beruhigen. Aber ich finde nicht die rechten Worte.
Sie seufzt, und ihre Augen blicken plötzlich in die Ferne. Mit schwacher Stimme sagt sie: »Du bist das Licht meines Lebens, Elisa. Meine ganz Besondere …« Ihr Griff um meine Hand lockert sich.
»Aneaxi?«
Aber sie antwortet nicht. Sie sieht aus wie eine Puppe, die Augen in einem zufriedenen Blick erstarrt, die Lippen leicht geöffnet. Sanft strecke ich die Hand aus und drücke ihr die Augen mit den Fingerspitzen zu, in der Hoffnung, dass sie dann eher so aussehen wird, als würde sie nur schlafen. Aber die Bewegungslosigkeit des Schlafes ist nicht zu vergleichen mit der Starre des Todes.
5
E s will mir nicht gelingen, meinen Kopf von dem Nebel zu befreien, dabei weiß ich, dass Lord Hector sehr sanft mit mir umgeht. Ich spüre es an der Art, wie sich seine Stimme senkt, dass er die Silben leise und einfühlsam intoniert. Er ist sehr freundlich.
»Wir werden sie mit uns in die Stadt nehmen«, sagt Ximena mit tränenerstickter Stimme. »Sie verdient eine richtige Beerdigung.«
Lord Hector neigt den Kopf. »Dann werde ich ihren Leichn… dann werde ich die Lady für die Reise vorbereiten.«
Ich sehe starr auf einen Punkt zwischen den beiden und merke dann, dass Ximena deswegen geantwortet hat, weil ich es nicht konnte.
»Nein.« Das Wort überrascht mich, aber als es in meinem Mund verweilt, wird mir klar, wie richtig diese Entscheidung ist. Lord Hector und Ximena warten auf eine Erklärung, während ich über die weite Wüste blicke. Das Land schimmert orangerot in der aufgehenden Sonne. Vor einigen Wochen hat mir Aneaxi anvertraut, wie sehr sie sich
darauf freute, einmal die Wüste zu sehen. Sie konnte sich kein Land vorstellen, das sich wie das Meer in Wellen auftürmt und auch so weit ausdehnt. »Wir werden sie hier begraben. Im Sand.«
Die Lederkleidung des Gardisten knarrt, als er sich zustimmend verneigt. Ich lehne mich gegen Ximena, die über meine Zöpfe streicht.
Am Abend des zweiten Tages, nachdem Gott meine Gebete nicht erhört hat, erreichen wir Brisadulce. Mir fällt es zuerst gar nicht auf, so nahtlos schließen sich die Sandsteinmauern an den gelben Sandboden an. Wir kommen durch eine Allee von Kokosnusspalmen, und plötzlich ist sie da, die Stadt, dreimal mannshoch. Lord Hector reitet neben meiner Kutsche, während ich den Kopf aus dem Fenster recke. Er lacht leise und erklärt, dass diese Mauern errichtet wurden, um die Sandstürme fernzuhalten.
Brisadulce ist ganz anders als die Städte in
Weitere Kostenlose Bücher