Der Feuerstein
hätte man in die Stierkampfarena schicken sollen.«
Kichernd erinnere ich mich an eine Nacht vor etwa einem Jahr, als wir uns zusammen in die Küche schlichen, um Kokospudding zu naschen, ohne dass Ximena etwas merkte. Aneaxi war stets die perfekte Mischung aus Mitgefühl, guter Laune und Durchtriebenheit – der ideale Gegensatz und die beste Partnerin für meine ernsthafte und vorsichtige Kinderfrau.
Sie hört auf, sich Luft zuzufächeln. Ihre Augenlider sind dünn, fast durchsichtig wie feines Pergament. In letzter Zeit ist sie gealtert, ohne dass ich es bemerkt habe. Nun lehne ich mich zu ihr hinüber und küsse die Falten auf ihrer Stirn.
Sie lächelt mit geschlossenen Augen. »Du bist ein gutes Mädchen, Elisa. Gott hat recht daran getan, dich zu erwählen.«
Ich muss schlucken. Ihre Liebe zu mir war stets geradezu närrisch, aber ich bin dankbar dafür. Vielleicht hat Gott sie aus einem bestimmten Grund zu mir gesandt. Vielleicht wusste er, dass ich jemanden brauchen würde, der zumindest ein wenig verstünde, wie mein Leben sein würde. Sanft löse ich den Fächer aus ihren Fingern. Als ich ihn vor ihrem Gesicht hin und her bewege, seufzt sie zufrieden. Ich bleibe lange bei ihr sitzen.
An diesem Abend teilt mir Alejandro mit, dass wir nur noch wenige Tage von meiner neuen Heimat entfernt sind.
»Gut!«, sage ich. »Allmählich rieche ich schlecht.« Ich habe es kaum ausgesprochen, als ich schon fühle, dass mein Gesicht röter wird als der Wüstensommer. Auf dieser schrecklichen Reise bin ich einfach viel zu gedankenlos geworden.
Aber er lacht nur. »Du riechst nicht annähernd so schlecht wie Lord Hector.« Dabei deutet er auf den königlichen Leibgardisten zu seiner Rechten, der seinen Degen poliert. Bei der Bemerkung des Königs sieht dieser kurz auf, sein Schnurrbart erzittert kurz, doch ansonsten bleibt sein Gesicht völlig unbewegt.
»Wie geht es Lady Aneaxi?«, fragt Alejandro.
Ich zucke mit den Schultern. »Sie sagt, das Bein würde sich besser anfühlen, aber sie ist auch fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, von daher bin ich mir nicht sicher. Sie ist schwächer, als sie zugibt.«
»Du hast sie sehr gern.« Sein Blick ist sanfter geworden – vielleicht liegt es auch am Feuerschein, aber es raubt mir den Atem. Alejandro umfängt mich mit seinen Augen, als sei ich das Einzige auf der Welt.
»Elisa?«
»Ich … sie ist mir sehr lieb und teuer.«
»Sie hat Glück, dass sie noch am Leben ist. Hector hat mir erzählt, wie du sie mit Lady Ximena unter der Kutsche hervorgezogen hast.«
Ich senke den Blick zum sandigen Schieferboden, auf dem wir unser Lager aufgeschlagen haben, und das, obwohl Alejandro mir ein so zärtliches Lächeln schenkt, dass ein Mädchen
stundenlang davon träumen könnte. Später, wenn ich allein unter meinen Decken liege, werde ich mir dieses Bild wieder in Erinnerung rufen, um mich vorm Einschlafen daran zu wärmen. Ich werde die Hoffnung wagen, dass ich ihm ans Herz wachsen kann, dass er eines Tages glücklich sein wird, dass wir geheiratet haben.
Aber jetzt muss ich ihn noch einiges fragen.
»Alejandro, die Perditos – sie haben doch nicht immer Reisende angegriffen.«
Er fährt sich mit den Fingern durchs schwarze Haar. »Nein, das haben sie nicht.«
»Warum jetzt? Wieso uns?« Ich umklammere den Stoff meines Rocks, um meine Hände zu beschäftigen. Er wird mir sagen, dass ich mir keine Sorgen machen soll, dass diese Dinge kleine Mädchen nichts angehen, so wie Papá …
»Wir fürchten, dass sie mit Invierne verbündet sind.«
Es dauert einen Augenblick, bis ich etwas erwidern kann. »Wieso vermutet ihr das?«
»Sie haben jetzt Waffen aus Stahl, Pfeile aus einem biegsamen hellen Holz, das wir zuvor noch nie gesehen haben. Außerdem hat eine Bande dieser Verlorenen im letzten Jahr drei Kaufleute getötet – mit einem scharfen Werkzeug, das man sonst dazu verwendet, um Eis zu brechen.«
Ein Eispickel. Ich habe noch nie Eis oder Schnee gesehen, nur davon gelesen. Aber wieso sollte Invierne mit den Perditos verbündet sein? Da kommt mir ein Gedanke. »Die Heerstraße ist der einzige Landweg zwischen Joya und Orovalle«, überlege ich laut.
Er nickt langsam und bedenkt mich mit einem so wachen Blick, dass ich mich unwillkürlich wie auf dem Prüfstand
fühle. Da fällt mir ein, dass wir auf dem Weg keine anderen Reisenden getroffen haben, obwohl doch zu dieser Jahreszeit, wenn auf den Meeren schwere Stürme drohen, eigentlich
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